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My BERLIN: Der Chinese wünscht frohe Weihnachten!

Alle mobilisieren ihre gesamte Finanzkraft, um Weihnachten auf Vorjahresniveau zu halten. Doch Vorsicht: Der deutsche Weihnachstkonsum ist chinesisch.

Ich brauche keinen Adventskalender, der mir sagt, dass Weihnachten auf uns zurast wie ein ungebremster Zug. Ich muss keine Türchen mit kleinen dicken Engeln öffnen, ich muss dafür nur die „Bild“ lesen. Genau drei Wochen vor Weihnachten – wie in jedem Jahr – kam die Geschichte: Krebsgifte in Kinderspielzeug – wie schlimm ist es wirklich? „Bild“ will natürlich nur unsere Kinder schützen (Tipp: „Sie sollen keine Spielwaren kaufen, die stark nach Chemie riechen“). Vielleicht ist es auch der durchsichtige Versuch, Oma dazu zu bringen, (langweiliges, aber ungiftiges) deutsches Holzspielzeug zu kaufen statt chinesischen Plastikmüll? Wie auch immer, der jährliche Spielzeug-Horrorkalender von „Bild“ ist fester Bestandteil von Deutschlands geheimem Adventskalender. Weitere Daten: die Vor-Advent-Woche, in der 32 Prozent aller deutschen Frauen die Geschenke kaufen. In der Zeit verbessern sich die Werbeeinnnahmen der Zeitungen sprunghaft. Der ideale Zeitpunkt für Journalisten, eine Gehaltserhöhung zu fordern, ist der 5. Dezember, wenn die guten Novemberzahlen eingelaufen sind.

Die Deutschen verwandeln sich zu Weihnachten natürlich nicht in Kaufroboter, aber man kann ein bestimmtes Verhaltensmuster beobachten – wie bei den Vögeln das Wanderverhalten oder beim Braunbären der Winterschlaf. 20 Prozent der deutschen Männer – die Zahlen gehen auf persönliches Befragen der KaDeWe-Mitarbeiter zurück – kaufen die Geschenke für ihre Partner am 23. Dezember. Sie brauchen dafür durchschnittlich zwölf Minuten. Wie viele Paare – zehn Prozent? – sagen, dass sie sich nichts schenken („schließlich sind wir Erwachsene“)? Und wie viele Frauen brechen ihr Wort und kaufen doch etwas für ihren Partner, der dann mit leeren Händen dasteht und bis zum Ende der Feiertage rumgrummelt? Dieser Adventskalender sollte unbedingt den 27. Dezember einschließen, wenn alle Berliner ihre Geschenke auf dem Tauentzien umtauschen. Macht man dieses Türchen auf, sähe man verzweifelte Verkäufer, die sich die Haare raufen.

In diesem Jahr ist die vorweihnachtliche Strategie ein wenig anders: Alle mobilisieren ihre gesamte Finanzkraft, um Weihnachten auf Vorjahresniveau zu halten. Die meisten Deutschen meinen, es gehe ihnen schlechter als zum Beispiel 2006; gerade zu Weihnachten fällt das auf. Viele gehen deshalb ans Eingemachte, um Geschenke kaufen zu können: Plötzlich öffnen überall Ankaufsstellen für Schmuck und vermutlich kann man auch bald in der Kebab-Bude bei mir um die Ecke (wo es schon Lottoscheine, Currywurst, Kaffee und Zeitungen gibt) Schmuck an- und verkaufen. Der Preis für Edelmetall ist auf Rekordniveau und jeder Juwelier in Berlin kann einem bestätigen, dass viele Frauen ihre Armbänder verkaufen.

Es gibt aber auch noch andere Schätze. Am Schwarzen Brett von Reichelt in der Knesebeckstraße bietet jemand seine gesamte RoyBlack-CD-Sammlung an. Wie sehr muss er Roy Black geliebt haben? Und wie traurig, dass er sie jetzt, und so, abstoßen muss. In meinem Supermarkt, inzwischen wieder ein Kaiser’s, dokumentiert das Nachrichtenbrett die harten Weihnachtszeiten. Im Angebot sind: eine Biografie von Willy Brandt (gebunden, sehr gut erhalten) für acht statt 25 Euro (ist der Verkäufer etwa Egon Bahr, der nicht weit weg wohnt?), ein Herren-Lammfellmantel in Größe 52 für 100 Euro, eine Ferienwohnung in Bad Harzburg (57 m2, 58 000 Euro), Barbies, Playmobil, Bücher von Astrid Lindgren und Cornelia Funke – als ob die ganze Nachbarschaft in einem sinkenden Rettungsboot sitzt und Gewicht abwerfen muss, als ob vor dem 24. noch möglichst viel zu Bargeld gemacht werden muss.

Ist es nicht das, was die Merkel- Regierung will: Kaufen, kaufen, kaufen, Binnenkonsum und Wachstum? Schon. Aber ein Großteil dieses Geldes wandert nach China. Der deutsche Weihnachtskonsum ist chinesisch: 75 Prozent der Geschenke werden dort hergestellt. Plastikschneemänner mit Plastikkarotten, Weihnachtsmannhüte mit Glocken, Zinnengel mit Harfen. Das einzig Deutsche im Weihnachtszimmer ist vermutlich der Baum. Wer einen praktischen aus Plastik mit Blinklichtern kauft: made in China. Der Versuch, das Wachstum im Land durch Kaufstimmung anzuheizen, kommt also vor allem dem Exportkonkurrenten Deutschlands zugute.

Und was den deutschen Baum angeht: lieber nicht. Sie wissen schon, Klimaschutz. An manchen Weihnachten kann man nur verlieren. 2009 ist so ein Weihnachten.

Aus dem Englischen übersetzt von Moritz Schuller.

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