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Meinung: Nach der Steuer ist vor der Steuer

Das Finanzloch wächst, doch keiner fragt: Darf’s ein bisschen weniger Staat sein

Von Antje Sirleschtov

Es kommt alles noch schlimmer. Nicht nur die Finanzminister der Bundesländer sagen es. Sie haben sich gestern mit Hans Eichel über den Zustand der öffentlichen Kassen ausgetauscht. Und deutlich gemacht: Mit kleinen Schnitten ist dem finanziellen Dilemma nicht mehr beizukommen. Nun droht auch noch Gerhard Schröder mit dem Ende des deutschen Sozialstaates.

Den Menschen kommt all das bekannt vor. Erst werden Arbeitslosenhilfe und Eigenheimzulage gekürzt, dann Beiträge und Steuern angehoben. Nun kommt die Vermögensteuer dazu. Und eigentlich ahnt doch jeder, dass auch die Mehrwertsteuer bald dran ist. Fragt sich nur noch, wann und mit welcher Begründung. Wer Augen hat, sieht schon lange, wohin die Reise geht. Der Wohlfahrtsstaat hat nach Kräften gegeben. Den Armen, den Familien und den Schwachen. Jahrzehntelang. Jetzt gibt es immer weniger zu verteilen. Da bricht der Streit um das Wenige aus.

Die Sozialdemokraten bieten den Bürgern die Illusion von der sozialen Gerechtigkeit an. Franz Müntefering erhebt die Landtagswahlen im Februar zur Richtungswahl: Wählt uns, dann bekommen weiterhin die Beladenen, und die Reichen müssen von ihrem Wohlstand abgeben. Oder wählt die von der Union, warnt der SPD-Fraktionschef, dann weht bald ein rauher Wind. Er meint den Wind der sozialen Ungerechtigkeit.

Was für eine verdrehte Argumentation. Ist es etwa gerecht, die Steuern und Beiträge für die Sozialkassen anzuheben? Wer den Menschen einen immer größeren Teil vom Lohn für ihre Leistung nimmt, der erzeugt keine Einsicht in die notwendige Sanierung des Sozialstaats. Der macht Leistung unattraktiv und treibt die Menschen in die ökonomische Emigration. Kellnerinnen im Teilzeitjob genauso wie Manager mit Millionengehalt.

Schon werden die DDR-Bürger als Kronzeugen genommen, die sich gegen ihre erdrückende Regierung nur noch mit beißendem Witz und dem Rückzug aus der Gesellschaft hätten wehren können. Ist es bereits so weit? Ein gemeiner Schröder-Song wird von den Kunden auf Platz eins der Hitparade gehieft. Und Steuerbetrug in all seinen Formen im Alltag als legitimes Mittel der Selbstverteidigung eingestuft.

Wenn Gerechtigkeit der Maßstab sein soll, dann verbietet sich jede weitere Abgabe. Auch für Reiche. Schon jetzt tragen breite Schultern über die Progression im Einkommensteuertarif und die Besteuerung von Aktien- und Immobilienerträgen viel mehr zum Gemeinwohl bei als schwache. Sie tragen sogar so viel dazu bei, dass das Verfassungsgericht bei einer Zusatzsteuer im oberen Einkommensbereich vor der Enteignung der Menschen durch den Staat warnte.

Wenn die Sozialdemokraten die Vermögenssteuer und vielleicht auch bald die Mehrwertsteuer dazu nutzen wollen, den Sozialstaat herkömmlicher Prägung umzubauen, dann hat das wenig mit der offiziellen Begründung zu tun, man wolle die Bildungschancen für alle Kinder erhöhen. Und auch nicht mit der Suche nach mehr Gerechtigkeit. Jedem müsste inzwischen klar sein, dass Umverteilung durch den Staat keine effektive – und damit auch keine besonders gerechte – Form der Umverteilung ist. Gerechter wird es, wenn der Staat den Leute mehr von ihrem Geld lässt: damit erst gar nicht so viele auf Umverteilung angewiesen sind.

Auch die Union verfolgt dieses Ziel nicht. Sie setzt auf Totalverweigerung, wenn es im Bundesrat darum geht, staatliche Leistungen und Steuervergünstigungen abzubauen, die Bund, Länder und Kommunen nicht mehr bezahlen können. Doch wenn es jetzt nicht gelingt, die Kosten des Staates und der Sozialsysteme zu drosseln, müssen in wenigen Monaten wieder neue Geldquellen gesucht werden. Dann reichen weder Vermögens- noch Mehrwertabgabe zum Stopfen der Löcher aus. Und welche Steuer droht uns dann?

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