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Meinung: Nahost: Doppelte Trennung

Nach diesem mörderischen Wochenende mit 22 toten Israelis hat auch der letzte Bürger begriffen: Israel befindet sich im Krieg. Ministerpräsident Ariel Scharon fordert die aufgeschreckte Bevölkerung auf, sich - wie in Kriegszeiten üblich - bedingungslos hinter die Regierung zu stellen.

Nach diesem mörderischen Wochenende mit 22 toten Israelis hat auch der letzte Bürger begriffen: Israel befindet sich im Krieg. Ministerpräsident Ariel Scharon fordert die aufgeschreckte Bevölkerung auf, sich - wie in Kriegszeiten üblich - bedingungslos hinter die Regierung zu stellen. Doch die Zustimmung zu seiner Person und seiner Politik sinkt. Zwar stärkt jeder Terroranschlag Scharons Stellung - ebenso, wie jede Vergeltung Arafats Stellung unter den Palästinensern. Doch wenn nun Soldaten in den palästinensischen Gebieten fallen, verlangt nur noch die äußerste Rechte nach der "eisernen Faust". Die Mehrheit fragt Scharon, was aus seinem Versprechen geworden ist, mehr Sicherheit zu schaffen.

Scharon präsentiert sich planlos. Ihm scheint es nur um das Überleben der rechtslastigen "Regierung der Nationalen Einheit" zu gehen. Fast ein Jahr lang ging die Taktik auf. Auch heute fordert das Volk nach jedem Terroranschlag Rache. Aber die führungslose Opposition ist erwacht und baut ein Gegenlager zu den kriegerischen Nationalisten auf. Ihre realistische Forderung: Trennung der beiden Völker, um Hass und Wut abzubauen.

Scharon hat seinen Pufferzonen-Plan wiederbelebt, der längst auf dem Müllhaufen der Geschichte moderte - um zu vermeiden, dass er die künftige Grenze zwischen Israel und dem Staat Palästina ziehen muss, den eine Mehrheit der Israelis befürwortet. Scharons Plan hat keine Chance: Er trennt die Völker nicht, sondern würde rund hundert palästinensische Westbank-Dörfer unter israelische Herrschaft bringen. Er gibt den um ihr Leben fürchtenden Soldaten keine Hoffnung.

Benjamin Ben-Eliezer, Verteidigungsminister und Chef der Arbeitspartei, hat den neuen Trend erkannt. Wichtiger als Rache für ermordete Soldaten ist den Wählern eine politische Lösung des Konflikts. Die verweigert Scharon. Er will die Bürger mit militärischem Auftrumpfen beeindrucken, Außenminister Peres mit Friedensplänen, die am Ende chancenlos bleiben. Ein Großteil der Israelis traut beiden nichts mehr zu. Noch nie war die Zahl derer, die an Auswanderung denken, so groß wie heute. Die für Scharon gefährliche Opposition bilden nicht ein paar hundert Besatzungsdienst-Verweigerer. Sondern die vielen Tausend Enttäuschten, die sich ins Ausland absetzen und so die von der Zeitung "Maariv" gestellte, für Israel existenzielle Frage beantworten: "Haben wir eine Zukunft?"

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