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Meinung: Nahost-Konflikt: Frieden - ja aber nur als Sieg

Nichts ist billiger als wohlfeiler Rat. Die Eskalation der Gewalt im israelisch-palästinensischen Konflikt kostet nicht nur Menschenleben in der Region.

Nichts ist billiger als wohlfeiler Rat. Die Eskalation der Gewalt im israelisch-palästinensischen Konflikt kostet nicht nur Menschenleben in der Region. Sie verletzt auch die Gefühle und Interessen von uns Europäern. Daher erteilen wir mit zunehmender Strenge Mahnungen und Empfehlungen.

Doch guter Rat muss auf Sachkenntnis beruhen und überzeugen. Die inflationären Appelle und Empfehlungen aus Europa lassen beides vermissen. Daher werden sie von den Konfliktparteien mit Recht nicht ernst genommen.

Wir wollen Frieden im "Heiligen Land" und gehen davon aus, dass die Bewohner dies ebenfalls wünschen. Dies stimmt, jedoch nur prinzipiell. Araber und Israelis wollen Frieden. Doch zu ihren Bedingungen. Der Teufel steckt im Detail, also im Preis, den man bereit ist, für den Frieden zu zahlen.

Vor zwei Jahren schickten die Israelis den Hardliner Benjamin Netanjahu in die Wüste. An seine Stelle wählten sie Ehud Barak. Das Votum war ein politischer Strategiewechsel. Denn Barak gab zu verstehen, dass er den Kompromiss mit den Palästinensern suchte.

Viele Israelis zuckten zusammen, als sie nach den Verhandlungen in Camp David den Preis des Friedens erfuhren: Räumung von 97 Prozent der palästinensischen Gebiete; Teilung Jerusalems; Entstehung des Staates Palästina mit Jerusalem als Hauptstadt. Doch Barak zeigte sich entschlossen, die teure Friedensprämie zu entrichten.

Baraks Zahlungswilligkeit war vergeblich. Palästinenserpräsident Arafat, der Jahrzehnte um einen unabhängigen Palästinenserstaat gekämpft hatte, verweigerte sich, als er am Ziel seiner Wünsche angelangt war und nur zugreifen musste. Arafat war unfähig zum Kompromiss. Er blieb kleinlicher Politiker, wo ein Staatsmann gefordert war, und bestand auf dem Rückkehrrecht aller vier Millionen Palästinaflüchtlinge nach Israel. Das hätte das Ende des jüdischen Staates bedeutet, in dem nur fünf Millionen Hebräer leben.

Das Scheitern der Friedensverhandlungen wurde weltweit Arafat angelastet. Doch der Palästinenserpräsident verstand es rasch, in die Offensive zu gehen. Der provozierende Besuch von Likud-Chef Ariel Scharon auf dem Jerusalem Tempelberg diente Arafat als Auslöser der Intifada. Damit brachte er Ehud Barak zu Fall. Dessen Politik war gescheitert. Statt Frieden herrschte Gewalt. Die Koalitionspartner verließen Baraks Regierung. Bei den anschließenden Wahlen entschieden sich die Israelis für Scharon, der Frieden und Sicherheit versprach.

Auch Ariel Scharon will Frieden. Sein Bekenntnis, "Ich hasse den Krieg!" ist aufrichtig. Die Israelis teilen Scharons Friedenswillen. Seit der Gründung ihres Staates vor 53 Jahren herrschen Krieg und Gewalt. Diese gingen nicht zuletzt auch von ihnen aus.

Die Friedensvorstellung des neuen Premiers gleichen eher jenen Arafats als denen seines Vorgängers Barak. Scharon ist nicht gewillt, essentielle Kompromisse einzugehen.

Das Dilemma der gegenwärtigen Situation ist also nicht die mangelnde prinzipielle Friedensliebe, sondern die fehlende Bereitschaft, konkret dafür zu zahlen. Appelle zum Frieden und einem Ende der Gewalt sind daher sinnlos. Guten Gewissens versichern beide Seiten, sie wollten ja den Frieden, doch der böse Nachbar ... Und: Sie verabscheuten Gewalt und Blutvergießen.

Scharon und Arafat sind sich in einem weiteren Punkt einig: Beide sind überzeugt, dass die Zeit für sie arbeitet. Der Israeli glaubt, seine Abschreckungsdoktrin werde die Palästinenser zermürben. Er ist entschlossen, jede palästinensische Militäraktion mit einem noch höheren Maß an Gewalt zu beantworten. Auf Dauer würden die Palästinenser erkennen müssen, dass sie so lediglich ihre Wirtschaft zerstörten. Letztendlich würde Arafat in eine Lage kommen, in der er gezwungen wäre, Frieden zu Israels Bedingungen zu schließen.

Doch Scharons Strategie führt statt zum Siegfrieden über die Eskalation in den Krieg mit den arabischen Nachbarstaaten. Die gleichen Konsequenzen ergeben sich aus Arafats Handeln. Die unterlegenen Palästinenser können die Israelis nicht militärisch besiegen, sondern lediglich zur verstärkten Gewaltaktionen provozieren. Ergebnis wie oben.

Ein allgemeiner israelisch-arabischer Krieg aber bedroht die globale Energieversorgung und obendrein den Weltfrieden. Europa und die Vereinigten Staaten können sich also auf Dauer nicht mit wirkungslosen Anti-Gewalt-Aufrufen begnügen. Wir müssen die Konfliktparteien massiv zu einem Ende der Gewalt und zu einer Friedenslösung drängen. Die Grundzüge der Einigung sind bereits im Sommer in Camp David abgesteckt worden.

Israelis und Palästinenser sind auf die wirtschaftliche und politische Unterstützung Europas und der Vereinigten Staaten angewiesen. Sie müssen begreifen, dass dies seinen Preis hat: einen Kompromissfrieden, bei dem beide Seiten nachzugeben haben.

Rafael Seligmann

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