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Nahost: Nach dem Gaza-Krieg

Eine Friedenslösung im Nahen Osten kann nur gelingen, wenn Syrien und die Hamas miteinbezogen werden.

Die am 27. Dezember 2008 eingeleitete israelische Offensive im Gazastreifen ist beendet. Allerdings wurde der Krieg durch eine prekäre Waffenruhe abgelöst, die nicht ausreicht, um auch nur mittelfristig Stabilität und Sicherheit zu gewährleisten. Für einen dauerhaften Waffenstillstand, Sicherheit für die Bevölkerungen in Israel und den palästinensischen Gebieten und ein friedliches (wenn nicht Mit- so doch zumindest) Nebeneinander werden tragfähigere politische und sicherheitspolitische Arrangements nötig sein.

Nach den kriegerischen Auseinandersetzungen sind die Ausgangsbedingungen für eine Konfliktregelung nicht besser geworden: Die politische Spaltung der Palästinenser dauert fort. Mahmud Abbas, der seit dem 9. Januar von der Hamas nicht länger als Präsident anerkannt wird, ist durch den Konflikt weiter geschwächt worden, und die Hamas selbst bleibt ein Faktor. Israel befindet sich im Wahlkampf. Die Umfragen sagen Zugewinne für den Likud voraus. Der neue US-Präsident hat sich nahezu unmittelbar nach der Amtsübernahme dem Nahen Osten widmen müssen. Angesichts der Wirtschaftskrise und anderer außenpolitischer Herausforderungen wird auch Präsident Obama allerdings nicht seine gesamten Energien auf ein Konfliktfeld richten, an dem schon manch ein amerikanischer Präsident gescheitert ist. Er dürfte aber einige wichtige Akzente anders setzen als sein Vorgänger. Das gilt konkret für die erklärte Bereitschaft Obamas, auch Kräfte, die bislang unter Gesprächsvorbehalt standen, zumindest indirekt in diplomatische Bemühungen einzubeziehen.

Die Hoffnung auf eine amerikanische Initiative sollte die Europäische Union allerdings nicht dazu verleiten, Washington das Politische zu überlassen und den eigenen Beitrag auf eine zweifellos notwendige Wiederaufbauhilfe oder auf Almosenvergabe zur Linderung der humanitären Notlage im Gazastreifen zu beschränken. Natürlich würde es auch zu kurz greifen, wenn die Europäer vor allem technische Hilfestellungen leisten würden, um die Zugänge zum „Gefängnis Gaza“ möglichst effizient zu kontrollieren und die Tunnels, die sowohl dem Waffenschmuggel wie auch – und vor allem – der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und Gütern des alltäglichen Bedarfs gedient haben, zu versiegeln. Im Gazakrieg hat Europa keine gute Figur gemacht. Individuelle Vermittlungsversuche verliefen weitgehend im Sande; die EU im Ganzen hat sich als unfähig erwiesen, rasch geeint und tatkräftig aufzutreten, die Lücke auszufüllen, die in der Übergangsphase zwischen den amerikanischen Regierungen so deutlich klaffte, und sich überzeugend für einen friedlichen Konfliktaustrag und die Wahrung internationalen Rechts einzusetzen.

Deutsche und europäische Politiker sollten sich bewusst sein, dass ihr Bekenntnis zu Israels Sicherheit als Lippenbekenntnis empfunden wird, solange sie nicht deutlich stärker als bisher Verantwortung für die politische Regelung des Konflikts übernehmen und sich an deren Kosten beteiligen. Jetzt muss es darum gehen, gemeinsam mit der neuen US-Regierung konsequent auf eine tragfähige und umfassende Konfliktregelung hinzuarbeiten.

Eine entsprechende europäisch- amerikanische Initiative müsste auf jeden Fall drei Hauptelemente beinhalten: erstens ein neuerliches Machtteilungsarrangement zwischen Hamas und Fatah; zweitens die Umsetzung der Vereinbarung von 2005, die nach dem israelischen Abzug darauf abzielte, den Zugang für Personen und Waren nach Gaza offen- und die Verbindung zwischen Gaza und West Bank zu erhalten, ergänzt durch Maßnahmen, die Waffenschmuggel effektiv verhindern können; drittens eine politische Perspektive, also die Umsetzung einer Zwei-Staaten-Lösung und einer umfassenden Friedenslösung in der Region in absehbarer Zeit. Eine solche Initiative kann nur gelingen, wenn wichtige Konfliktparteien, insbesondere die Hamas und Syrien, einbezogen werden.

Israel ist es zwar gelungen, Hamas einen „entscheidenden Schlag“ zu versetzen, also die militärische Infrastruktur der „Islamischen Widerstandsbewegung“ zu zerstören und wichtige Führungspersonen zu töten. Selbst wenn die Zustimmung der Bevölkerung im Gazastreifen zur Herrschaft der Hamas schrumpft, bleibt die Bewegung aber politisch relevant. Hamas ist durch ihre religiösen und sozialen Aktivitäten gesellschaftlich tief verwurzelt. Nicht zuletzt aufgrund des Scheiterns des 1993 in Oslo begonnenen Friedensprozesses hat die Hamas bei den Parlamentswahlen 2006 einen Erdrutschsieg und die absolute Mehrheit im Palästinensischen Legislativrat errungen. Und sie konnte ihre Herrschaft im Gazastreifen nach der gewaltsamen Machtübernahme im Juni 2007 konsolidieren. Es wäre illusionär, zu glauben, dass Mahmud Abbas und seine Fatah infolge des Krieges einfach wieder die Macht im Gazastreifen übernehmen könnten.

Dass die Hamas geschwächt, aber nicht vernichtet werden sollte, hat Israels Regierung schon dadurch unterstrichen, dass sie zeitgleich zur militärischen Eskalation in indirekten Gesprächen mit den Islamisten über eine Waffenruhe verhandelt hat. Die Hamas Führung hat wiederholt unter Beweis gestellt, dass sie – anders als Fatah – einen Waffenstillstand sowohl in den eigenen Reihen als auch bei den anderen Gruppierungen weitgehend durchsetzen kann. Die Zerstörung palästinensischer Regierungs- und Sicherheitseinrichtungen und ziviler Infrastruktur hat allerdings die Ausübung jeglicher effektiver Autorität im Gazastreifen weiter kompliziert. Hamas hat zwar den Krieg nicht gewonnen; aber der Krieg dürfte auch nicht die Kräfte im politischen Spektrum Palästinas gestärkt haben, die ein Ende der Besatzung durch Verhandlungen erreichen wollen. Der Zorn auf Israel ist auch bei Fatah-Anhängern und anderen Gegnern der Hamas gewachsen. Damit hat auch das Risiko zugenommen, dass dschihadistische Gruppierungen Zulauf verzeichnen und ihr Unwesen ausweiten.

Europäische und amerikanische Politik, die auf eine dauerhafte Konfliktregelung abzielt, wird die Hamas nicht länger ignorieren können. Dabei geht es zunächst darum, neue ägyptisch oder saudisch vermittelte Gespräche, die eine Aussöhnung und ein neues Machtteilungsarrangement zwischen Fatah und Hamas auf den Weg zu bringen versuchen, nicht zu blockieren, sondern zu unterstützen. Europa sollte dazu die Bereitschaft signalisieren, mit einer palästinensischen Übergangsregierung zu kooperieren, die von allen relevanten politischen Gruppierungen getragen wird. Das schließt die finanzielle Unterstützung ein, selbst wenn man dazu die Hürde der „Listung“ einer der Regierungsparteien als terroristische Organisation überwinden muss. Tatsächlich werden Fatah und Hamas kooperieren müssen, um eine Neuwahl des Präsidenten und des Parlaments möglich zu machen. Nur ein so legitimierter Präsident wird den notwendigen Rückhalt für Verhandlungen mit Israel haben. Machtteilung ist auch die Voraussetzung dafür, dass die europäischen Maßnahmen zum Aufbau eines palästinensischen Staates nicht länger ins Leere laufen. Denn es ist unmöglich, demokratische, effiziente und legitime Regierungs- und Sicherheitseinrichtungen aufzubauen, solange die politisch-territoriale Teilung andauert. Und: Frieden ohne den Gazastreifen wird es nicht geben.

Ein Waffenstillstand wird zudem nur tragfähig sein, wenn er das Sicherheitsbedürfnis beider Seiten berücksichtigt und wirtschaftliche Entwicklung im Gazastreifen zulässt. Letzteres aber kann unter den Bedingungen einer nahezu vollständigen Blockade nicht stattfinden, unter der das Gebiet seit der Entführung des israelischen Soldaten Shalit im Juni 2006 und, weiter verschärft, seit der gewalttätigen Machtübernahme der Hamas im Juni 2007 steht. Eine dauerhafte Öffnung der Grenzübergänge zum Gazastreifen, wie sie das 2005 von US-Außenministerin Rice verhandelte „Agreement on Movement and Access“ vorsieht, gehört zu den elementaren Voraussetzungen für Wiederaufbau und wirtschaftliche Entwicklung. Dies wird auch ein Arrangement zwischen allen beteiligten Parteien (Israel, Palästinensische Autorität, Hamas, Ägypten, EU) erfordern, das es erlaubt, den Grenzübergang Rafah zwischen dem Gazastreifen und Ägypten wieder zu öffnen und die Tätigkeit der europäischen Grenzmission wiederaufzunehmen. Letztlich muss ein Waffenstillstand, um tragfähig zu sein, auch die West Bank einschließen.

Mit dem Scheitern des Annapolis-Prozesses ist einmal mehr deutlich geworden: Der von der internationalen Gemeinschaft verfolgte Ansatz, dass eine Konfliktregelung in Nahost das Ergebnis von bilateralen Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien ohne internationale Vorgaben sein müsse, hat bisher nicht zum Erfolg geführt. Seine Erfolgschancen sind auch künftig gering. Denn Vetogruppen in beiden Bevölkerungen haben sich als zu stark und die gewählten Führungen als zu schwach beziehungsweise in ihren Bemühungen um friedlichen Ausgleich als zu wenig konsequent erwiesen, so dass auch künftig nicht damit zu rechnen ist, dass die notwendigen „schmerzhaften Kompromisse“ ohne internationalen Druck zustande kommen. Dabei liegen die Grundzüge einer Konfliktregelung mit den Clinton-Parametern vom Dezember 2000, den Ergebnissen der Verhandlungen von Taba im Januar 2001 und dem inoffiziellen Genfer Abkommen vom Herbst 2003 längst vor.

Der Übergang zu einer Vermittlung, die den Konfliktparteien hilft, ihre Differenzen zu überwinden, statt wie bisher vornehmlich auf die Förderung von Gesprächen zu setzen, ist daher überfällig. Zu einem solchen Ansatz gehört ein konsequentes Monitoring, wie beide Seiten ihre Verpflichtungen erfüllen, genauso wie die Vorlage einer Blaupause für ein Endstatusabkommen durch das Nahost-Quartett und konkrete Angebote für eine internationale Truppenpräsenz, die die Umsetzung eines solchen Abkommens überwacht und mittelfristig den Frieden sichert.

Die neue US-Regierung müsste zudem auch auf einer anderen Schiene eines neuen nahöstlichen Friedensprozesses aktiv werden. Tatsächlich sind die Chancen, die bislang indirekten, von der Türkei vermittelten Gespräche zwischen Israel und Syrien in direkte Verhandlungen unter amerikanischer Leitung zu überführen und zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen, derzeit größer als die Aussichten auf einen Friedensvertrag zwischen Israelis und Palästinensern. Damaskus ist genuin nicht nur am Prozess, sondern an einem Frieden interessiert: Die Isolation des Landes würde damit beendet, seine wirtschaftlichen Aussichten würden sich verbessern und Präsident Assads Popularität im eigenen Land würde wachsen, wenn es ihm gelänge, die israelisch besetzten Golanhöhen zurückzugewinnen, die sein Vater 1967 verlor.

Israel, die USA und auch Europa sollten sich in diesem Zusammenhang konzeptionell wie praktisch vor dem Fehler hüten, eine Aufkündigung des durchaus engen syrisch-iranischen Verhältnisses zur Vorbedingung eines Ausgleichs zwischen Israel und Syrien zu erklären. Die Logik nahöstlicher Dynamik funktioniert umgekehrt: Wenn Syrien Frieden mit Israel schließt, wird das nicht nur insgesamt zur Beruhigung der Region beitragen, sondern auch eine dauerhafte Befriedung der israelisch-libanesischen Front erlauben. Zudem werden die Interessen Syriens und Irans im Nahen Osten automatisch weniger stark überlappen als heute. So wird Syrien die libanesische Hisbollah nicht mehr brauchen, um indirekt Krieg gegen Israel zu führen, und sein Interesse an der Unterstützung der Hamas wird schwinden. Stattdessen werden die ideologischen Unterschiede zwischen dem säkularen Regime in Damaskus und islamistischen Kräften wie der Hamas stärker in den Vordergrund rücken. Schon heute, mit Blick auf die relativ erfolgreichen indirekten israelisch-syrischen Gespräche des vergangenen Jahres, ist Syrien eher an einer Beruhigung der Lage in Palästina und an einer Wiederherstellung palästinensischer Einheit interessiert als an einer Ausweitung eines Konflikts. Man kann davon ausgehen, dass Syrien auch die Hisbollah in diesem Sinne „beraten“ hat, aus dem Libanon keine zweite Front zu eröffnen. Bereits 2007, im Vorfeld des kurzlebigen saudisch vermittelten innerpalästinensischen Abkommens von Mekka, hatte Syrien sich konstruktiv eingebracht und seinen Einfluss auf die in Damaskus ansässige Exilführung der Hamas genutzt.

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