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Meinung: Nazis? Gibt’s nicht!

Der Rechtsextremismus in Deutschland wird verbal aufgeblasen

Im „18. Brumaire des Louis Bonaparte“ schreibt Karl Marx, dass „alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen“ sich zweimal ereignen: „das eine Mal als große Tragödie, das andere Mal als lumpige Farce“.

Die große Tragödie in der jüngsten deutschen Geschichte war der Nationalsozialismus. Aus der hoch entwickelten politischen Kultur der Weimarer Republik war ein Regime der Willkür, des Staatsterrors und des Völkermords hervorgegangen. Nach der Befreiung trugen die Gründerväter der Bundesrepublik Sorge dafür, dass sich Ähnliches nicht wiederhole. Im Grundgesetz wurden die Kompetenzen des Staatsoberhauptes gestutzt. Die Rechte des Parlamentes wurden gestärkt. Das Wirken der Parteien wurde als „Parteienprivileg“ verankert. Über alles sollte das Bundesverfassungsgericht richten: der „Hüter der Verfassung“.

Die neue Demokratie funktionierte. Sie brachte Wohlstand und Sicherheit. Die Tragödie wiederholte sich nicht, weil der ersten Bundesregierung in den fünfziger Jahren der Nachweis gelang, dass die damalige Partei SRP neonazistisch war und weil das Verbot auf dem Fuße folgte. Die Tragödie wiederholte sich auch deshalb nicht, weil die Volkspartei CDU/CSU mit ihrer Politik in den sechziger Jahren der erstarkenden NPD das Wasser abgrub.

In den neunziger Jahren und im neuen Jahrhundert blieb das vereinte Deutschland ebenfalls weit entfernt von einer Wiederholung der Tragödie. Während Rechtsextreme in anderen europäischen Ländern in nationale Parlamente einzogen, schafften es weder die „Republikaner“ noch die DVU noch die NPD in den Bundestag.

Aber hochgespielt wurden die Rechtsparteien schon. Das hatte damit zu tun, dass es in Rostock, Hoyerswerda, in Solingen und andernorts zu schlimmen Ausschreitungen kam, zugleich wurden Rechtsparteien aus Protest in einige Landtage gewählt. Dass das politische Gewicht der Rechtsparteien höher eingeschätzt wurde als zuvor, hing auch damit zusammen, dass sich die Rechten des Themas Arbeitslosigkeit bemächtigten und die etablierte Politik keine Arbeitskräfte schaffen konnte.

Aus Hilflosigkeit heraus werden in dieser Lage Funktionäre der DVU und der NPD als „Nazis“ oder „Neonazis“ tituliert. Welch eine Verniedlichung der Terrororganisationen NSDAP, Gestapo oder SS ist das! Welch eine Missachtung ihrer Opfer, millionenfacher Toter darunter, steckt dahinter, dass grölende Glatzköpfe und phrasendreschende Landtagsabgeordnete mit den Himmlers, Heydrichs und Goebbels gleichgesetzt werden. Wie verschieden, ja gegensätzlich sind die Rahmenbedingungen der Bundesrepublik und des verbrecherischen NS-Staates!

Das unhistorische Aufblasen Rechtsextremer zu „Nazis“ oder „Neonazis“ ermöglicht es politisch Korrekten, sich als „Antinazis“ hinzustellen – im Unterschied zu 1933 ganz ohne Gefahr. Dabei muss heute keiner den Beweis antreten, dass er ein Schenk Graf von Stauffenberg gewesen wäre. Niemand der Nachgeborenen sollte sicher sein, ob und wie er 1933 und danach Courage gezeigt hätte. Die Heutigen können froh sein, dass die Bundesrepublik ihnen diese Probe erspart.

Die Rituale der gefühlten „Antinazis“ – die es real nicht gibt, weil es zum Glück auch keine Nazis gibt – tragen die Züge einer Farce. Die NPD ist, leider, weiter eine zugelassene Partei, und das ignorieren die politisch Korrekten. Sie verweigern den missliebigen Rechten Räume: Damit erheben sie sich über das Verfassungsgericht und das Parteienprivileg. Sie tun das, weil sie wissen, dass Gerichte ihre Weigerungen aufheben, denn die Justiz achtet den Rechtsstaat. So haben die Verweigerer ein gutes Gewissen und verlassen sich darauf, dass Polizeibeamte ihre Knochen hinhalten werden, falls es zu Gewalt kommen sollte.

Schöne Demokraten sind das: Sie fuchteln gegen die Rechten und wissen, dass sie damit nichts erreichen. Wer die Rechte der Demokratie nicht verwirkt hat, muss sie wahrnehmen können. Bürger können sich das Recht auf Freiheit nicht gegenseitig absprechen; so etwas würde am Ende zur Unfreiheit aller führen.

Der Autor lehrt Politikwissenschaft an der Universität Potsdam und ist FDP-Mitglied.

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