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Papst Benedikt XVI: Nicht mehr Vater unser

Papst Benedikt verabreicht seiner Kirche Misstrauen gegenüber der Moderne. Damit gewinnt er keine Massen. Das hat die Empörung nach seiner Annäherung an die Piusbrüder gezeigt, das machen die Debatten um das Thema Missbrauch deutlich. Der Rückzug der Kirche aus der modernen Welt in eine irgendwie geartete religiöse Parallelwelt wird nicht mehr geduldet. Heute wollen alle Margot Käßmann sein.

Liebe wächst durch Liebe, schrieb Papst Benedikt XVI. – und viele dachten, nun beginnt in der katholischen Kirche ein langer, warmer Frühling. Mit werbenden Worten lud er die Menschen ein, ihr Herz zu öffnen und zu sehen, „wo Liebe not tut“. Das war vor vier Jahren. Joseph Ratzinger, damals seit neun Monaten Papst, hatte die Welt mit seinem schüchternen Lächeln berührt und seine erste Enzyklika „Deus Caritas Est“ vorgelegt. Vergessen war der kalte Konservative von der Glaubenskongregation, vergessen auch, wie Ratzinger noch einen Tag vor seiner Wahl zum Papst mit harschen Worten die „Diktatur des Relativismus“ gegeißelt hatte. Viele Deutsche waren stolz auf ihn. Ratzinger wurde bejubelt als brillanter Denker, und irgendwie war es so, als wollte auf einmal fast jeder ein bisschen Papst sein.

Heute, da sich sein Pontifikat zum fünften Mal jährt, ahnen viele, dass das ein großes Missverständnis war. Der Frühling war gar keiner. Mittlerweile muss sich rechtfertigen, wer der katholischen Kirche treu bleibt. Dabei hat sich Joseph Ratzinger nicht verändert, unsere Wahrnehmung ist eine andere geworden. Die von ihm anempfohlene Liebe ist nicht die tastende, oftmals brüchige Liebe, die viele heute erleben, seine Sicht auf die Welt ist nicht mehrheitsfähig. Joseph Ratzingers Liebe steht stramm und findet in der einen ewigen Ehe von Mann und Frau seine Erfüllung. Wem es anders geht, glaubt eben nicht fest genug oder ist krank. Denn erst wer nach der katholischen Moral lebt und nicht nach Werten, die gesellschaftlich verhandelbar sind, erlebt die volle Schönheit des Daseins. Der kann auch zwischen der heilen Glaubenswelt und der bösen Außenwelt unterscheiden, zwischen Freund und Feind.

Papst Benedikt verabreicht seiner Kirche in hohen Dosen abgrundtiefen Pessimismus und Misstrauen gegenüber der Moderne. Er will zwar nicht zurück vor das Zweite Vatikanische Konzil, das vor vierzig Jahren die Türen zur Welt aufgestoßen hat. Aber er will eine Reform der Reform, Konzil reloaded.

Damit gewinnt er keine Massen. Das hat die Empörung nach seiner Annäherung an die Piusbrüder gezeigt, das machen die Debatten um das Thema Missbrauch deutlich. Der Rückzug der Kirche aus der modernen Welt in eine irgendwie geartete religiöse Parallelwelt wird nicht mehr geduldet. Heute wollen alle Margot Käßmann sein. Benedikts Kurs führt von der Mitte an den Rand, von der Volkskirche in die Weihrauchnische.

Aber nur in Europa ist das so, eigentlich nur in Westeuropa. In Lateinamerika, in Afrika und in Asien kommen scharfe Worte und klare Konturen gut an. Dort steht die katholische Kirche im Wettbewerb mit dem Islam und evangelikalen Bewegungen, die mit deutlichen Ansagen ebenso wenig sparen. Dort entscheidet sich, ob Benedikts Pontifikat erfolgreich ist oder nicht. Denn von den rund 1,2 Milliarden Katholiken weltweit leben gerade mal fünfzehn Prozent in Europa. Papst Benedikt XVI. ist in diesem Sinne kein europäischer Papst, erst recht kein deutscher. Er ist der Chef einer Weltkirche. So gesehen ist sein Kurs richtig. Sein Nachfolger wird vermutlich aus Afrika kommen und so eine Art Obama der katholischen Kirche sein. Aber ein Obama, der Homosexualität für Sünde hält und die Vielfalt von Lebensmodellen für eine fehlgeleitete Absurdität. Und dann werden unsere europäischen Maßstäbe völlig durcheinandergeraten.

Claudia Keller

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