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Meinung: Nicht nur Waffen schaffen

Der Pralinengipfel war richtig – doch eine stabile Weltordnung braucht mehr/Von Hans-Dietrich Genscher

Die Diskussion um den ViererGipfel von Brüssel in Deutschland geht an der Substanz der Frage vorbei. Die Stärkung der europäischen Verteidigungsidentität liegt natürlich im europäischen und übrigens auch im transatlantischen Interesse. Die Vorschläge des Brüsseler Gipfels sind voll in der Linie der EU-Beschlüsse seit 1999. Sie sind deshalb richtig und vernünftig. Dass es darum geht, den europäischen Pfeiler zu stärken und nicht eine militärische Gegenposition zu den USA außerhalb der Nato aufzubauen, kann nicht oft genug unterstrichen werden. Wäre es nicht gesagt worden, würde das auf schärfste Kritik stoßen.

Wichtig ist das Bewusstsein auf beiden Seiten des Atlantiks, dass weder Europa ohne die USA noch die USA auf Dauer ohne Europa auskommen können. Eine neue stabile Weltordnung wird nur entstehen, wenn sie eine kooperative ist, und wenn Europa und Nordamerika durch die denkbar engste Kooperation auf der Grundlage der Gleichberechtigung zu einem Stabilitätspfeiler dieser neuen Weltordnung werden. Europa kann dabei die historische Erfahrung aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einbringen, dass tiefe Gegensätze überwunden werden können durch die Besinnung auf gleiche Grundwerte und durch das Bewusstsein, dass Zusammenarbeit nur möglich ist, wenn große, mittlere und kleinere Staaten gleichberechtigt und ebenbürtig miteinander umgehen.

Vor diesem Hintergrund sind hämische Bemerkungen über militärische Fähigkeiten Belgiens und Luxemburgs Ausdruck elitärer Arroganz und politischer Großmannssucht. Diese beiden Staaten haben es zu keiner Zeit an Verlässlichkeit und Festigkeit im westlichen Bündnis und als Mitgründerstaaten der Europäischen Gemeinschaft an europäischer Verantwortung fehlen lassen.

Das Signal der Vier aus Brüssel bleibt als wichtige europäische Initiative richtig – trotz mancher beklagenswerter Umstände. Klärungsbedarf besteht zum Begriff einer „kollektiven Fähigkeit zur Planung und Führung von Einsätzen“. Auch andere Fragen an die Bundesregierung bleiben. Denn die Schaffung auch sicherheitspolitischer Handlungsfähigkeit für die EU ist mit der gegenwärtigen Mittelausstattung der Bundeswehr nicht zu erreichen. Notwendig ist eine Prioritätensetzung im Bundeshaushalt, die der sicherheitspolitischen Verantwortung Deutschlands in der Nato und in der EU gerecht wird, und auf die im Übrigen auch unsere Soldaten, was Ausbildung, Ausstattung und Bewaffnung angeht, Anspruch haben.

Europa muss jetzt den Weg seiner Einigung entschlossen weitergehen, nicht um eine Gegenkraft gegen die USA zu bilden, sondern um gleichgewichtiger Partner sein zu können. Das bedeutet nicht, militärisch mit den USA gleichzuziehen, und das Ausmaß der amerikanischen Rüstung, für die es am adäquaten Gegner fehlt, wird ohnehin – schon aus wirtschaftlichen Gründen – reduziert werden. Es wäre im Übrigen altes Denken, wollte man globale Stabilität vor allem als militärische Herausforderung begreifen. Das Wichtigste ist, dass die neue Weltordnung in allen Teilen der Welt als gerecht empfunden werden kann.

Deshalb sind die wirklichen globalen Herausforderungen: die Überwindung von Hunger, Unwissenheit und von Seuchen, die Bekämpfung der organisierten Kriminalität, der gefährlichen Kumpanin des ebenso zu bekämpfenden internationalen Terrorismus. Von außerordentlicher Bedeutung ist der Kampf gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und Trägersystemen, was zur Aufrechterhaltung der Glaubwürdigkeit auch die Einhaltung der Abrüstungsverpflichtungen der beiden atomaren Großmächte aus dem Nichtverbreitungsvertrag beinhaltet. Zu den Rahmenbedingungen einer stabilen Weltordnung gehört auch eine internationale Rechtsordnung, in der alle Staaten gleichberechtigt sind, d. h. in der die Herrschaft des Rechts und nicht das Recht des Stärkeren gilt. Das verlangt, das Entstehen einer multipolaren Weltordnung zu akzeptieren und nicht - wie jüngst - aus London zu hören, der Idee einer von der Geschichte überholten unipolaren Weltordnung nachzulaufen. Das wäre übrigens ein Anspruch, den der Westen niemals zuvor nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erhoben hat.

Der Autor war von 1974 bis 1992 Bundesaußenminister. Foto: Mike Wolff

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