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Meinung: Nicht schon wieder Grippe

Impfungen sind sinnvoll, aber nur für bestimmte Personen

Alexander S. Kekulé Alle Jahre wieder blasen die Gesundheitswächter zum herbstlichen Halali gegen die Grippeviren: Die nächste Influenza-Saison steht bevor, groß angelegte Kampagnen sollen die Bevölkerung von der Impfung überzeugen. Doch nur knapp ein Viertel der Deutschen lässt sich pieksen, Tendenz zuletzt leicht steigend – die irrationale Angst vor der Vogelgrippe bewirkt mehr als alle Appelle an die Vernunft. Natürlich ist die saisonale Grippeimpfung gegen die Vogelseuche wirkungslos, ebenso wie gegen die gefürchtete Pandemie.

Doch was ist mit der ganz „normalen“, saisonalen Grippe? Soll man sich dagegen impfen lassen?

Die Antwort ist keineswegs einfach – im Gegensatz zu dem, was die aktuelle Plakataktion der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung suggeriert. Dort werben gesunde junge und alte Menschen: „Wir kommen der Grippe zuvor. Weil ich mein Kind vor vermeidbaren Risiken schützen will.“ Der bei Pharmawerbung übliche Hinweis auf Risiken und Nebenwirkungen fehlt – hat die Impfung also nur Vorteile?

Der Wahrheit am nächsten kommt eine Antwort von Radio Eriwan: Im Prinzip ja – sofern man zu der Gruppe von Menschen gehört, die Vorteile von der Impfung haben. Das sind leider weit weniger, als die an das breite Publikum gerichteten Kampagnen glauben lassen. Gemäß Empfehlungen der „Ständigen Impfkommission“ am Robert-Koch-Institut gehören dazu Menschen über 60 Jahre sowie Patienten mit bestimmten chronischen Erkrankungen (etwa Lungen-, Herz- und Stoffwechselkrankheiten). Auch medizinisches Personal sollte sich impfen lassen, um andere vor Ansteckung zu schützen. Für gesunde Kinder und Erwachsene unter 60 wird die Impfung nicht empfohlen, obwohl sie tatsächlich fast keine Nebenwirkungen hat.

Das größte Problem der saisonalen Grippeimpfung ist ihre fehlende Zuverlässigkeit: Auch Geimpfte können an Influenza erkranken und sterben. Weil sich die Viren ständig verändern, wird jedes Jahr ein neuer Impfcocktail gemixt. Dieser ist nur gegen drei Typen von Influenzaviren gerichtet, weil die weltweite Produktionskapazität nicht mehr hergibt (zwei Sorten Influenza-A und eine Sorte Influenza-B). Wenn die Weltgesundheitsorganisation mit ihrer saisonalen Impfempfehlung danebenliegt, wirkt die Immunisierung schwach oder gar nicht.

Die letzte Saison war in dieser Hinsicht eine Katastrophe: Entgegen der Vorhersage traten in Deutschland fast ausschließlich Viren vom Typ „Influenza-B/ Victoria“ auf, der Impfstoff enthielt jedoch „Influenza-B/Yamagata“. Dadurch war die Impfung gegen Influenza-B so gut wie unwirksam. Influenza-B, die milder verläuft als die gefürchtete Influenza-A, war in der letzten Saison insgesamt für 70 Prozent der Grippefälle verantwortlich. Weil Kinder häufiger an Influenza-B erkranken, waren insbesondere die Kinderimpfungen im letzten Jahr nahezu vollständig umsonst.

Doch auch wer gegen die richtigen Viren geimpft wurde, ist nicht gegen die Grippe gefeit. Bei gesunden Erwachsenen, die nur selten schwer erkranken, wirkt der Impfstoff mit rund 80 Prozent noch am besten. Doch ausgerechnet die durch Influenza besonders gefährdete Risikogruppe der über Sechzigjährigen wird nur zu 30 bis 60 Prozent geschützt. Bei der anderen großen Risikogruppe asthmakranker Kinder liegt die Schutzwirkung gegen Influenza-A bei 60 bis 80 und gegen die häufigere Influenza-B nur bei 22 bis 54 Prozent. Wenn zusätzlich zu den im Impfstoff enthaltenen drei Typen noch weitere Viren zirkulieren – was fast immer der Fall ist –, verringert sich die Schutzwirkung weiter.

Statistisch profitieren deshalb insbesondere die Risikogruppen von der Grippeimpfung – die sind jedoch nur zu etwa 50 Prozent geimpft. Das können an das breite Publikum gerichtete Plakataktionen kaum ändern. Gefragt sind hier die Ärzte, schließlich sind Alte und chronisch Kranke meist in deren Behandlung. Die gehen jedoch nicht gerade mit gutem Beispiel voran: Obwohl die Impfung für sie ausdrücklich empfohlen wird, lässt sich nur jeder vierte Mediziner regelmäßig pieksen.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Molekulare Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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