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Meinung: Normalität wagen Der Nahe Osten erprobt das Modell Abzug gegen Sicherheit

Von Christoph von Marschall Auch Großes fängt klein an. Die Nachrichten aus dem Nahen Osten haben sich kaum geändert.

Von Christoph von Marschall

Auch Großes fängt klein an. Die Nachrichten aus dem Nahen Osten haben sich kaum geändert. Aber die Umstände. Die Nachrichten: Israel hat zwar sein Militär aus Bethlehem abgezogen, lässt aber in Gaza zwei Häuser in die Luft jagen – Vergeltung für einen Anschlag – und in Ramallah einen radikalen Palästinenser erschießen. Gewalt und Gegengewalt, wie sie seit rund zwei Jahren fast alltäglich ist. Und noch stets gereicht hat, um jede kleine Hoffnung auf Verständigung zu ersticken.

Doch diesmal halten beide Seiten am Abkommen vom Sonntag fest: Israel holt Soldaten aus besetzten Städten zurück, erst aus Bethlehem, dann aus Gaza; die palästinensische Polizei übernimmt die Aufgabe, Anschläge zu verhindern. Abzug gegen Sicherheit. Auch über Hebron wird bereits gesprochen. Nur, warum sollte das ausgerechnet jetzt funktionieren, wo sich so viel Hass und Wut aufgestaut haben und die technischen Voraussetzungen schlechter sind als in all den Monaten zuvor? Es gibt ja kaum noch funktionsfähige Polizeiwachen in den besetzten Gebieten.

Es ist ein Triumph des Willens. Des Willens zweier Pragmatiker: des israelischen Verteidigungsministers Ben-Eliezer und des palästinensischen „Innenministers“ Jehijeh – interne Gegenspieler von Scharon und Arafat. Fast unbemerkt von der Welt haben sie neue Umstände geschaffen. Es geht also ohne Arafat. Und ohne Scharon. Ja, es geht sogar besser ohne diese beiden Verhinderer von Kompromissen. Es geht auch ohne ausländische Vermittlung: der USA oder Europas – immer dann, wenn Israelis und Palästinenser selbst zu der Einsicht kommen, dass sie ihre Interessen nicht mit Gewalt durchsetzen können.

Und warum haben Arafat und Scharon die Verständigung zugelassen, die ihre Stellung gefährden kann, wenn sie denn funktioniert? Weil sie unter Druck sind. Ihre Völker sind den permanenten Ausnahmezustand leid, wollen eine Perspektive sehen. Die jüngsten Wochen haben Hoffnung gemacht: Die Ausgangssperre wurde gelockert, die Gewalt ging zurück. Zweitens denken sie wohl, dass das Abkommen scheitert. Weil die Radikalen doch wieder zu Gewehr und Bombe greifen. Dann kippt die Stimmung. Und die Konkurrenten gleich mit.

Vielleicht ist die Sehnsucht nach Normalität diesmal stärker. Vielleicht hilft sie, die Angriffe auf den kleinen Frieden auszuhalten. Dann könnte daraus Größeres wachsen.

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