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Meinung: Notstrom im Norden

Forsmark ist nicht Tschernobyl. Trotzdem sollten die Kraftwerke erneut überprüft werden

Ein paar Notstromaggregate sprangen nicht an. Das brauchte niemanden groß aufzuregen, so was kommt jeden Tag immer wieder vor. Fatal ist allerdings jedoch, wenn es sich um den Notstrom von Kernkraftwerken handelt. Da dürfte es nicht passieren. Denn ohne Strom gibt es keine Kühlung, ohne Kühlung keinen kontrollierten Betrieb des Reaktors. Und am Ende: Kernschmelze? Das Horrorszenario, 20 Jahre nach Tschernobyl taucht es wieder auf. Dabei hatten wir uns so schön wieder eingerichtet im täglichen gemeinsamen Leben, wir und die Kernkraftwerke.

Nun ist das in Schweden passiert. Vielleicht ist dort der Standard nicht so hoch wie bei uns. Vielleicht nehmen es die Nordlichter nicht so genau mit dem Notstrom. Und es gab ja auch keinen Unfall. Keine Explosion, keine erhöhte Radioaktivität wurde gemeldet. Irgendwie sind die Dieselgeneratoren im Kernkraftwerk Forsmark nach einiger Zeit doch noch angesprungen. Was im stromlosen Intervall im Kraftwerk ablief, welche Systeme, welche Messgeräte, welche Sicherheitsknöpfe überhaupt noch funktionierten, ist bisher nicht bekannt. Es sei deswegen nicht zu einem Unfall gekommen, weil Teile des Notkühlsystems funktioniert hätten, bevor es der Belegschaft gelang, den Betrieb manuell wieder in Griff zu bekommen. Dieses Management riecht nach Wurstelei und erinnert an das chaotische Geschehen in Tschernobyl, kurz bevor der Reaktor hochging.

Doch wir brauchen uns nicht zu beunruhigen, sagen die Kraftwerksbetreiber. In Forsmark wurden der betroffene Reaktor und ein zweiter Block sowie in Oskarshamn zwei weitere Blöcke abgeschaltet, weil sie mit dem gleichen Sicherheitssystem ausgestattet seien. Die in Schweden für Reaktorsicherheit zuständige Behörde kündigte eine sorgfältige Prüfung an. Doch zumindest ein Mitglied hat sich schon ein Urteil gebildet: Die Angelegenheit werde in den Medien übertrieben, sagte Jan Blomstrand. Unterstellt, diese Behauptung sei richtig, dann ist es umso erstaunlicher, dass die Öffentlichkeit in Schweden bisher gelassen reagiert. Dabei hatte die schwedische Bevölkerung schon vor 26 Jahren für den Ausstieg aus der Atomkraft votiert. Nur die üblichen Verdächtigen, Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace oder die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW, forderten die Stilllegung der Atommeiler, falls es sich um einen serienmäßigen Konstruktionsfehler handele.

Eine moderate Forderung, eine Selbstverständlichkeit, ein Kernkraftwerk abzuschalten, wenn die Gefahr besteht, dass Notsysteme nicht funktionieren. Bedenklich stimmen da allerdings Meldungen, wonach die Konstruktionsschwäche des Bauteils bereits bekannt gewesen sein soll. Einen ähnlichen Vorfall habe es im deutschen Kraftwerk Phillipsburg bereits in den 90er Jahren gegeben. Aber darüber seien die Schweden nicht unterrichtet worden. Warum nicht? Handelt es sich nur um eine Kommunikationspanne?

Nun sollen Schwächen im internationalen Warnsystem untersucht werden. Vordringlich ist allerdings zu prüfen, ob andere Kraftwerke mit einem ähnlich anfälligen Notsystem ausgestattet sind. Die in Schweden betroffenen Energiekonzerne Eon und Vattenfall betreiben ja auch in Deutschland Atomkraftwerke. Und diese laufen weiter, als sei nichts passiert.

Ja, alle Atommeiler müssen überprüft, die Öffentlichkeit muss informiert werden, wie es von der Opposition und Greenpeace gefordert wird. Wenn auch nur die kleinste Unsicherheit besteht, ob Notsysteme ausfallen könnten, müssen die Kraftwerke abgeschaltet werden. Die Diskussion über den Atomausstieg hat neuen Schwung bekommen. Längere Laufzeiten erscheinen jetzt als absurd. Kernkraftwerke können so modern und vorgeblich sicher sein, wie sie wollen. Wenn die Kühlung nicht funktioniert, müssen sie vom Netz.

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