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Meinung: Nur nicht verlieren

Den Deutschen kommt der unbedingte Siegeswillen abhanden

Deutschlands Fußballgemeinde trauert nach dem 0:3 gegen Frankreich vom Sonnabend. Die Enttäuschung lässt sich nicht so leicht vergessen. Tenor der Auf- und Verarbeitung: Die großen Fußballnationen sind zu groß für uns, die kleinen ebenbürtig, der Zug ist abgefahren. Kurzum, wir können es nicht mehr. Das Erstaunen ist gewaltig, Depression macht sich breit angesichts der Realität – man hat dergleichen lähmendes Entsetzen zuletzt nach den niederschmetternden Erkenntnissen der Pisa-Studie feststellen müssen. Wir können es nicht mehr!

Bleibt man beim Fußball, stellt sich allerdings auch die Frage, ob wir es je besser konnten. Sind unsere heutigen Stellvertreter auf dem Rasen wirklich schlechter als die früheren? Damals hießen sie Georg Schwarzenbeck, Berti Vogts, Jürgen Kohler oder auch Rudi Völler, und sie waren allesamt von der spielerischen Geschmeidigkeit einer Holzpuppe verglichen mit Franzosen, Brasilianern, Italienern und sogar Holländern. Mit Ausnahme eines glücklichen Zufalls bei der Europameisterschaft 1972 haben deutsche Fußballmannschaften niemals mithalten können mit dem Laissez faire oder der Lust am Spiel anderer Mannschaften.

Gewonnen haben sie trotzdem. 1982, im WM-Halbfinale von Spanien, hieß der Gegner auch Frankreich. Dort spielten Platini, Tigana, Giresse: Männer, von denen jeder Einzelne im kleinen Zeh mehr Spielwitz hatte als Horst Hrubesch auf der Gegenseite im gesamten massigen Körper. Es gewannen die Deutschen – zugegeben, auch auf Kosten einer ausgeschlagenen Jacketkrone beim französischen Verteidiger Battiston. Man wünscht sich dergleichen Methoden ja nicht zurück, aber erstaunlich war schon, dass die deutsche Mannschaft am Sonnabend nach dem zweiten Gegentor in sich zusammenfiel wie Spinat nach dem Blanchieren.

Sind die deutschen Tugenden Geschichte? Die Kampfkraft, die Leidenschaft, der Siegeswille, das Selbstvertrauen? Wann hat es das früher gegeben, dass sich deutsche Fußballer vor der Realität beugen und einknicken? Das Wunder von Bern wäre dann nie ein Wunder geworden (und nebenbei: Das Wunder von Lengede wäre auch gescheitert angesichts der Aussichtslosigkeit).

Es gab Zeiten, sie liegen noch nicht lange zurück, da liefen deutsche Fußballmannschaften aufs Spielfeld mit dem Vorsatz, gewinnen zu wollen. Heute wollen sie nur noch: nicht verlieren. Selbst wenn es gegen Island geht – in den vergangenen Zeiten hätte man gesagt: gegen einen Zwerg. Damals, das waren die Zeiten, als die deutschen Autos durch die Welt rollten, etwas teurer als die anderen, aber langatmiger und erfolgreicher, solider statt verspielter. Und die Konzernherren sind losgelaufen in diese Welt, im sicheren Vertrauen, dass ihr Produkt das bessere sei. Heute würden wir uns freuen, wenn wir im weltweiten Vergleich der Lesekompetenz Platz zehn erreichten.

Man hat ja die Parallelität von Fußball und Gesellschaft oft belächelt, aber nun liegt sie wieder auf der Hand, respektive auf dem Rasen. Sie lag dort Anfang der Siebzigerjahre, als die Deutschen aufbrachen und ebenso visionär Fußball spielten. Sie lag da Ende der Neunzigerjahre, als sich der Reformstau auch bei der Weltmeisterschaft in Frankreich bemerkbar machte und noch nicht gelöst war bei der Europameisterschaft zur Jahrtausendwende in Holland und Belgien.

Was sind wir heute? Am Sonnabend, als wir nur Fußball spielten gegen Franzosen, waren wir kurz willig (in der ersten Halbzeit), da sind wir dem Kanzler gefolgt auf dem Weg zu Veränderungen unter Opfern. Aber dann haben wir es auch schnell wieder sein gelassen, gerade so, als ob es ohnehin keinen Zweck habe. Nach Lage des Fußballs wird das Ende des Jammerns also noch ein wenig auf sich warten lassen. Weil, wer nicht an sich glaubt, auch nicht gewinnen kann. So gesehen wird der SPD-Parteitag wohl ein sozialdemokratisches Desaster.

Und keine Lösung in Sicht? Im vergangenen Jahr sind die deutschen Fußballer bei der Weltmeisterschaft bis ins Endspiel vorgedrungen, mit viel Glück, einigen schwachen Gegnern und mit breiter Brust. Die haben sie sich geholt, weil sie geradezu rauschhaft Saudi-Arabien am Anfang 8:0 besiegten. Einen Zwerg nur, und wahrscheinlich kam auch deshalb niemand auf die Idee, die Deutschen könnten etwas anderes als ihre Tugenden in die Waagschale werfen. Vielleicht wäre das die richtige Methode: Macht das, was ihr könnt, Jammern gehörte noch nie dazu. Auf dem Fußballplatz nicht. Und anderswo genauso wenig.

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