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Meinung: Ohne Milieuschutz

Meistens ist es ein gutes Gefühl: plötzlich mehr Entscheidungsmöglichkeiten zu haben, als man erwarten durfte. Manchmal jedoch ist es gar nicht so sicher, ob das ein Grund zur Freude ist.

Von Hans Monath

Meistens ist es ein gutes Gefühl: plötzlich mehr Entscheidungsmöglichkeiten zu haben, als man erwarten durfte. Manchmal jedoch ist es gar nicht so sicher, ob das ein Grund zur Freude ist. Denn manchmal steht einer plötzlich im Zentrum des Interesses und widerstrebender Interessen, und kann es deshalb so oder so fast nur falsch machen.

So ähnlich geht es am heutigen Sonnabend dem Berliner Landesverband der Grünen bei der Listenaufstellung für die Bundestagswahl. Wegen der Verkleinerung des Parlaments dürfen nur noch zwei Berliner Sitze als sicher gelten. Das wäre für die Partei schon schlimm genug: ein Mandat im Parlament zu verlieren. Aber damit steht die Versammlung vor einer noch unangenehmeren Aufgabe: Mit der Nominierung wird sie mindestens zwei von drei Gruppen der Bundespartei verprellen. Wer auch immer den Kampf um den rettenden zweiten Listenplatz verliert - der bekannteste Vertreter der Linken, die ausgewiesene Fachfrau für Sozial- und Genpolitik oder der letzte prominente DDR-Bürgerrechtler in der Partei: Es wird wohl als Niederlage und Richtungsentscheidung mit bundespolitischer Ausstrahlung bewertet werden.

Die Spitzenposition ist bei den Grünen Frauen vorbehalten, ebenso alle weiteren ungeraden Plätze. Dort kandidiert Renate Künast, die mitten in der Legislaturperiode Verbraucherministerin wurde und bisher nicht im Bundestag saß. Der Platz ist ihr nicht streitig zu machen, sie ist gut in der Landespolitik verankert. So treten für Position zwei - die bei einem ähnlichen Wahlergebnis wie 1998 auch noch als sicher gilt - die drei bisherigen Bundestagler Hans-Christian Ströbele, Andrea Fischer und Werner Schulz gegeneinander an.

Früher war Ströbele, der emsige und ewige Opponent grüner Realpolitik, in Berlin ein ungefährdeter Lokalmatador. Seit dem Regierungsumzug 1999 hat sich auch der Landesverband verändert. Andrea Fischer und Werner Schulz, die beide nicht den linken Flügel stärken, haben ein Verfahren durchgesetzt, das ein bisschen bundespolitischen Einfluss garantiert: Eine Vollversammlung der Mitglieder vergibt die Listenplätze, nicht ausgewählte Delegierte. Viele Mitglieder sind erst mit dem Umzug in die Hauptstadt gekommen, sie denken anders als das Berliner GAL-Milieu.

Die entscheidende Frage müsste sein: Wen von den drei Berlinern braucht die Bundes-Partei für ihr Gesamt-Profil, wer ist ersetzbar? Wenige sind so bekannt wie Hans-Christian Ströbele, aber er konnte auf dem Parteitag von Rostock gerade noch 20 Prozent der Delegierten binden; zudem werden andere Linke der neuen Bundestagsfraktion angehören. Andrea Fischer steht für Gentechnik, eine andere Grüne, die dieses wichtige Zukunftsfeld besetzen könnte, ist nicht in Sicht. Aber auch auf den letzten prominenten Ost-Vertreter Werner Schulz kann die Partei nicht verzichten, weil sie ihn nicht ersetzen kann.

Kein gutes Gefühl, diese Wahl zu haben. Wie auch immer die Berliner Grünen heute entscheiden: Sie beschädigen ihre Kompetenz auf unverzichtbaren Politikfeldern.

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