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Meinung: Ohne Power

Der Fusionsreaktor wird in Europa gebaut – aber unsere Energieversorgung bleibt unsicher

Es wird hoffentlich einfacher sein, Atomkerne bei 100 Millionen Grad zu verschmelzen, als die Interessen verschiedener Staaten miteinander zu vereinbaren. Jahrelang hat die Weltgemeinschaft darüber verhandelt, wo der internationale Fusionsreaktor (Iter) gebaut wird. Einig ist man sich nicht geworden. Nun haben die EU-Forschungsminister beschlossen, dem Verhandlungsmarathon noch in diesem Jahr ein Ende zu setzen: Ob Japan mitmacht oder nicht – der 4,6 Milliarden Euro teure Testreaktor soll im französischen Cadarache stehen.

Die Japaner sind verärgert über die Botschaft aus Brüssel. Sie hatten bis zuletzt dafür gekämpft, den Reaktor ins eigene Land zu holen. Die prestigeträchtige Forschungsanlage soll den Nachweis erbringen, dass man aus der Verschmelzung von Wasserstoff Energie gewinnen kann, dass die Hoffnung auf die Kernfusion als Energiequelle der Zukunft berechtigt ist.

Iter hätte zum ersten großen, internationalen Forschungsprojekt in Japan werden sollen. Dazu wird es nun wohl nicht kommen. Das Hochtechnologieland muss weiter auf ein solches Entgegenkommen westlicher Industriestaaten warten. Die Europäer, unterstützt von Russland und China, sind dazu auch diesmal nicht bereit. Denn sie haben einen Gutteil der Forschung und Technik für Iter entwickelt.

Die USA schon. Sie messen der Kernfusion allerdings auch keine so hohe Priorität bei. Zwischenzeitlich waren sie ganz aus dem Projekt ausgeschert, weil der Bush-Regierung die Energievorsorge über die nächsten 50 Jahre hinaus nicht als dringliches Problem galt. Inzwischen wollen auch die USA wieder in die Kernfusion investieren, obwohl diese frühestens in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts einen Beitrag zur Energieversorgung leisten kann. Zu einer Zeit also, da einzig und allein der Mittlere Osten noch über große Ölvorräte verfügen, aber sicherlich kein billiges Öl mehr zu haben sein wird.

Niemand vermag gegenwärtig zu sagen, wie der Weltenergiehunger in 50 Jahren noch gestillt werden kann. Vor allem der Verkehrssektor steht vor gewaltigen Umwälzungen. Und man sollte annehmen, dass die Staatengemeinschaft angesichts dieser ungewissen wirtschaftlichen, umwelt- und sicherheitspolitischen Zukunft mit Hochdruck nach Lösungen sucht.

Dem ist leider nicht so. Das Beispiel Deutschland zeigt, wie kurzsichtig viele Regierungen agieren. Während die Verschwendung der Kohlevorräte mit rund 3,3 Milliarden Euro im vergangenen Jahr subventioniert wurde, hat die Bundesregierung für die Energieforschung nur einen Bruchteil dessen übrig: etwa 500 Millionen Euro. Davon fließen 100 Millionen in die Kernfusion, noch einmal fast eben so viel aber geht für das Problem der Entsorgung radioaktiver Abfälle drauf. Was übrig bleibt, ist zu wenig für eine Regierung, die sich im Klimaschutz als Vorreiter sieht und von „Innovationsoffensiven“ spricht.

Die Förderung der Wind- oder der Solarenergie durch das „Erneuerbare Energien Gesetz“ ist sicherlich ein guter Weg. Er allein führt allerdings nicht zum Ziel. Die soeben veröffentlichte europaweite Delphi-Studie, in der 670 Energie-Experten nach Entwicklungen in den kommenden 25 Jahren befragt wurden, macht deutlich, in wie viele Richtungen gedacht und geforscht werden muss.

Die Experten sehen unter anderen eine großen Bedarf an neuen Energiespeichern wie Batterien oder Schwungrädern, etwa um kleinere Kraftwerke in die Stromnetze zu integrieren. Solar- oder Windenergie würden zudem einen enormen Aufschwung erhalten, wenn man den Strom weitgehend verlustfrei über weite Strecken transportieren könnte. Doch ist man hier noch ähnlich weit von den Forschungszielen entfernt wie in der Wasserstofftechnologie.

Die Kernfusion, eine im Prinzip unerschöpfliche Energiequelle, ist von alldem am unwägbarsten. Bisher sind weltweit etwa 30 Milliarden Euro in die Fusionsforschung geflossen. Mehr als das Doppelte könnte hinzukommen, ehe der erste Fusionsstrom in 50 oder 70 Jahren aus der Steckdose kommt.

Wenn überhaupt. In jedem Fall müssen wir die Technik neu bewerten, sobald Iter neue Erkenntnisse gebracht hat. Wichtig ist, dass die Staaten bei solchen Projekten, die die künftige Energieversorgung betreffen, eng zusammenarbeiten. Den Forschungsausgaben steht eine hohe Verantwortung für nachfolgende Generationen gegenüber. Der werden wir nicht gerecht, wenn wir statt der Forschung vor allem den Raubbau der Ressourcen fördern.

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