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Meinung: Onkel Dagobert hilft nicht

Jetzt, im Aufschwung, muss weiter reformiert werden – damit es gerechter zugeht

Von Antje Sirleschtov

So viel ist geschafft: Vergessen sind die dunklen Zeiten, als fünf Millionen ohne Job waren. Nun prangt allmonatlich eine Drei über der Statistik aus Nürnberg und überall werden Fachkräfte gesucht. Verdrängt ist die nationale Schmach, als Brüssel das Milliardenloch in der deutschen Staatskasse abwatschte. Jetzt stehen sie rum wie Onkel Dagoberts, die deutschen Finanzminister mit prall gefüllten Taschen. Und erst die Konjunktur: Nicht einmal die Stürme des internationalen Finanzmarktes und der Ölpreise hauten den robusten Aufschwung um.

Und doch ist das Unbehagen der Menschen groß. Weil der stete Wohlstandszuwachs für jedermann, dieses Urversprechen der sozialen Marktwirtschaft deutscher Prägung, keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Und weil die Rendite des Aufschwungs nicht nur scheinbar sondern tatsächlich immer ungleichmäßiger verteilt wird. Keine Geringere als die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) stellte dieser Tage fest, wie weit die Schere zwischen den Gewinnen aus Kapital und denen aus Arbeit in Deutschland auseinander geht – wie unsozial es hierzulande also zugeht.

Daran kann Politik nicht vorbei: Auf dem ökonomischen Hochplateau der deutschen Wirtschaft treibt die Gesellschaft so deutlich wie nie zuvor auseinander. Wer hat, der mehrt im Augenblick sein Vermögen spürbar. Und wer nicht hat, bleibt auf der Stecke, oft chancenlos. Der Applaus der Massen für die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I für ältere Menschen zeigt die Furcht deutlich. Nicht zuvorderst die Betroffenen selbst fordern diesen Schritt. Es sind vielmehr die 50-Jährigen, die noch einen Job haben und doch befürchten, dass auch ihre Firma irgendwann nach Polen abwandern und sie zurücklassen könnte. Mit einer Zukunft zwischen schlecht bezahlten Minijobs, ein wenig Zeitarbeit oder dauerhafter Arbeitslosigkeit. Auf jeden Fall im sozialen Abstieg.

Und wie reagiert die große Koalition? Statt Strukturen im Arbeitsmarkt zu reformieren und damit Jobanreize zu geben, werden SPD und CDU im nächsten Monat die notwendige Milliarde für die ALG-I-Verlängerung herausrücken. Aus Gründen der Gerechtigkeit. Und auch, wenn sie damit der Gerechtigkeit kein Stückchen näher kommen. Denn am Ende dieser Wachstumszeiten, wenn die Steuergelder wieder tröpfeln und die Arbeitslosigkeit wieder zunimmt, dann werden auch die Verteilungskämpfe wieder stärker werden. Weshalb Franz Müntefering auch recht hat mit dem Satz, jede Milliarde, die die Bundesagentur für Arbeit heute übrig hat, muss in Aktivierung Arbeitsloser gesteckt werden und nicht in ihre Alimentierung. Schließlich wird sich die Frage in der nächsten Rezession unabwendbar stellen: Wer soll bluten, wenn die den Älteren geschenkte Milliarde in der Kasse fehlt?

Man könnte noch mehr solcher Beispiele dafür finden, wie die Chancen dieses Aufschwunges leichtfertig verspielt werden. Die Monopolmärkte für Energie, die verkrusteten Bildungsstrukuren, das verkorkste Steuersystem: Vieles ist noch nicht geschafft.

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