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Organspende: Wann ist ein Mensch wirklich tot?

Der Mangel an Spenderorganen in Deutschland ist nicht nur ein organisatorisches oder juristisches Problem. Er zeugt auch von Misstrauen.

Nachdem Frank-Walter Steinmeier mit gutem Beispiel vorangegangen ist, soll ihm der Rest der Deutschen nun folgen. In Deutschland warten rund 8000 Menschen vergeblich auf ein Spenderorgan. Um das zu ändern, fordern Gesundheitsexperten eine Neuregelung des Transplantationsgesetzes. Demnach sollen Organe nach dem Tod bei jedem entnommen werden können, der nicht ausdrücklich widersprochen hat. Bisher muss der Spender zu Lebzeiten zugestimmt haben. CDU-Gesundheitssprecher Jens Spahn plädiert sogar dafür, auf dem Personalausweis ein eigenes Ja-Nein- Feld für den Spenderstatus anzubringen.

Dass dies bei den notorisch organgeizigen Deutschen eine Spendenlawine lostritt, darf allerdings bezweifelt werden. Die Vorstellung, schon am Unfallort könnte jeder Polizist mit einem Blick in die Papiere erkennen, dass hier ein potenzieller Organspender hinter dem Lenkrad klemmt, dürfte selbst bei eingefleischten Altruisten ein gewisses Unbehagen hervorrufen. Schließlich sollen die Helfer wirklich alles Menschenmögliche für ihren Patienten tun, bevor sie darüber nachdenken, wie viele Menschenleben mit dessen Organen zu retten wären.

Der Mangel an Spenderorganen in Deutschland ist nicht nur ein organisatorisches oder juristisches Problem. Er spiegelt auch einen Mangel an Vertrauen in den anonymisierten Medizinbetrieb wider. Die Horrorvision, versehentlich für tot erklärt und als Organspender ausgenommen zu werden, ist weiter verbreitet, als es Gesundheitspolitikern und Transplantationsärzten lieb sein kann.

Neuerdings steht auch noch die Definition des Hirntodes in der Kritik. In den 70er Jahren war man überzeugt, dass der Körper ohne funktionierendes Gehirn nur kurze Zeit überleben könne, weil das geordnete Zusammenspiel der Organe verloren ginge. Deshalb wurde der Hirntod gleichgesetzt mit dem biologischen und rechtlichen Tod des Individuums, nach dessen Eintritt die Organe entnommen werden dürfen. Heute steht fest, dass trotz Hirntod die restlichen Organfunktionen nahezu beliebig lange aufrechterhalten werden können. Hirntote verdauen Nahrung, wehren Infektionskrankheiten ab, reagieren (über Nervenbahnen im Rückenmark) auf Schmerzreize und können sogar Kinder gebären. Ethisch ist deshalb die Frage berechtigt, ob die Beatmungsmaschinen und Ernährungsschläuche nur eine Leiche warm halten oder ob hier ein Mensch, wenn auch künstlich, am Leben erhalten wird.

Als Ausweg aus dem Dilemma schließen amerikanische Bioethiker in die Definition von „Leben“ neuerdings den aktiven Austausch mit der Umwelt ein. Menschen ohne Hirnfunktion sind demnach tot, weil sie weder kommunizieren noch für ihre Bedürfnisse tätig werden können. Nach dieser engen Definition dürfte jedoch auch ein Embryo im Frühstadium nicht als lebendig gelten – eine einheitliche Definition von Leben und Tod, die für den Anfang und das Ende des Lebens gilt, muss erst noch gefunden werden.

Pragmatiker mögen einwenden, dass Menschen ohne Hirnfunktion ohnehin nicht mehr leben wollen – egal ob sie dann noch am Leben oder schon tot sind. Doch auch diesen hartgesottenen Nächstenliebenden wird es derzeit schwer gemacht, den Organspendeausweis zu unterschreiben. Die neurologische Fachgesellschaft der USA mahnte gerade an, dass die Kriterien für die Feststellung des Hirntodes nicht wissenschaftlich untermauert seien. Beispielsweise seien die (auch in Deutschland) vorgeschriebenen Wartezeiten zwischen der ersten und zweiten neurologischen Untersuchung nur grobe Erfahrungswerte und nicht zuverlässig. Kritisiert wird auch, dass apparative Zusatzuntersuchungen, wie die Messungen der elektrischen Aktivität und der Durchblutung des Gehirns, nicht zum obligatorischen Standard gehören. Unter Umständen könnten neurologisch unerfahrene Ärzte deshalb einen Komapatienten für tot erklären, obwohl seine Hirnrinde noch bei Bewusstsein ist.

Nachdem die Diskussion nun losgetreten wurde, müssen sich auch in Deutschland Politiker und Transplantationsärzte den offenen Fragen stellen, statt über Gesetze und Kästchen im Personalausweis zu debattieren.

Der Autor ist Mikrobiologe und Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle.

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