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Meinung: Papierkrieger

Was Struck der Bundeswehr vorschreiben will, hält der Wirklichkeit nicht Stand

Von Robert Birnbaum

Papier, bekanntlich, ist geduldig. Das Papier, auf dem die Verteidigungsminister der Bundesrepublik in unregelmäßigen Abständen neue Verteidigungspolitische Richtlinien erlassen, ist sogar von ganz besonders geduldiger Sorte. Die bis gestern gültige Richtlinie stammte von Volker Rühe. 1992 kurz nach der deutschen Einheit erlassen, sollte sie den Umbau von der soeben vereinigten Abschreckungs- zur Einsatzarmee einleiten. Rühes Erlass war aber weit davon entfernt, Umstürzlerisches zu verkünden. Er gab lediglich dem Unübersehbaren einen Rahmen: Der Kalte Krieg war vorbei, die Kriege dieser Welt waren es nicht.

Auch Peter Strucks neue Verteidigungspolitische Richtlinien tun zunächst einmal nichts anderes, als die papierne Erlasslage den neueren Entwicklungen der Weltgeschichte anzupassen. Struck selbst hat den Kerngedanken auf den einprägsamen Begriff gebracht, dass Deutschland inzwischen „am Hindukusch“ verteidigt wird und nicht mehr in der norddeutschen Tiefebene. Landesverteidigung im klassischen Sinne wird damit überflüssig, oder sagen wir besser: Sie rutscht in der Liste der Bedrohungen sehr weit nach hinten. Was an ihre Stelle tritt, ist noch Landesverteidigung, aber mit ganz anderem Gesicht. Die Konsequenz daraus ist längst gezogen. Was der Bundeswehr heute an Heimatschutz verblieben ist, taugt vornehmlich für folkloristische Vorführungen.

Aber was kommt statt des Kampfpanzer-Dinosauriers? Theoretisch lässt sich die Armee der Zukunft ganz gut beschreiben, Strucks Leitlinien tun dies auch: Flexibel, schnell einsetzbar selbst in unwirtlichen Gegenden, gewappnet und ausgebildet für Beiträge zu einem konventionellen Krieg ebenso wie für Kommandoaktionen gegen Guerillas und Terroristen, für Konfliktverhütung wie für Konfliktnachsorge, mit wachem Seitenblick auf derzeit noch recht fern erscheinende Gefahren wie einen Krieg der Computer und der Netze. Eine Armee also, die mit viel mehr Aufgaben fertig wird als nur eine Abwehrschlacht vorzubereiten.

Man kann das auch etwas anders ausdrücken: Der Soldat der Zukunft ist ein vielfältig ausgerüsteter und ausgebildeter Profi. So klar und simpel lässt das Struck aber nicht formulieren. Es ist nicht schwer zu erahnen, warum. Reden wir gar nicht darüber, dass es für die Ausrüstung an Geld fehlt. Reden wir nur über die Menschen und ihre Qualifikation. Struck weiß sehr genau, dass das anspruchsvolle Anforderungsprofil, das er entwirft, nur von Zeit- und Berufssoldaten zu erfüllen ist. Denn es verlangt eher mehr als weniger Ausbildung als heute, es verlangt eher mehr als weniger Einsatz-Erfahrung.

Kein Wehrpflichtiger kann das. Aber den logischen Schritt, der sich aufdrängt, will Struck nicht mehr gehen. „Unabdingbar“ nennt seine Leitlinien die Wehrpflicht. Aber wofür? Für den „Schutz von Infrastruktur“ und für den Fall, dass eines fernen Tages eine völlig neue Weltlage doch wieder eine große Abwehrarmee alten Stils erfordern sollte. Das eine können Profis besser, das andere glaubt Struck wahrscheinlich selber nicht. Wenn dies die letzten materiellen Begründungen für die Wehrpflicht sind, ist ihr Ende in Sicht. Aber über die Zukunft des Wehrdienstes entscheidet ohnehin keine Verteidigungspolitische Richtlinie. Die ist nur ein Papier, und ein sehr geduldiges.

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