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Protest mit Schuhen. So wurde in Mexiko gegen Gewalt gegen Frauen demonstriert.

© imago/Xinhua / imago stock&people

Partnerschaftsgewalt: „Gewalt von Männern gegen Frauen gibt es überall in unserer Gesellschaft“

Alle 45 Minuten wird eine Frau durch ihren Partner gefährlich verletzt. Was tun? Ein Gastbeitrag von Familienministerin Lisa Paus und Grünen-Chefin Ricarda Lang

Von
  • Lisa Paus
  • Ricarda Lang

In Deutschland wird laut Kriminalstatistik der Polizei jeden dritten Tag eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Alle 45 Minuten wird eine Frau durch ihren Partner gefährlich körperlich verletzt. Wir reden nicht von Einzelfällen, sondern über ein strukturelles Problem. Allein im letzten Jahr gab es über 140.000 Fälle von Gewalt in Partnerschaften. Und oft genug erfahren Frauen genau dort Gewalt, wo sie Schutz und Sicherheit finden sollten: in ihrem eigenen Zuhause.

Das heißt: Gewalt von Männern gegen Frauen gibt es überall in unserer Gesellschaft: in allen Gruppen, in allen Schichten, in allen Milieus. Sie findet meist im Verborgenen statt, weswegen das tatsächliche Ausmaß bislang nicht ausreichend ermittelt werden kann. Partnerschaftsgewalt darf nicht als individuelles Problem der Betroffenen abgetan werden. Vielmehr muss sie als ein Thema der inneren Sicherheit gesehen werden und sollte als solches behandelt werden.

Mit der Istanbul-Konvention, die 2014 in Kraft getreten ist, hat der Europarat eine Antwort auf diese Problemlage gefunden. Der völkerrechtliche Vertrag verpflichtet die unterzeichnenden Staaten, umfassend und strukturell gegen geschlechtsspezifische Gewalt vorzugehen. Deutschland hat die Konvention bereits 2017 unter der Großen Koalition ratifiziert, allerdings mit Vorbehalten, die vor allem Frauen ohne geklärten Aufenthaltsstatus betrafen.

Es ist gut, dass wir in der Ampel diese Vorbehalte nun zurückgenommen haben und die Istanbul-Konvention ab 2023 ohne Wenn und Aber anwenden. Das heißt: Jede Frau hat Anspruch auf Schutz unabhängig von ihrer Herkunft. Diese Bundesregierung ist die erste, die diesen Anspruch endlich umsetzt.

Wir wollen aber noch weiter gehen. Im Koalitionsvertrag haben wir uns darauf geeinigt, eine ressortübergreifende politische Strategie gegen Gewalt an Frauen auf den Weg zu bringen. Wir brauchen ein gemeinsames Vorgehen aller politischen Ressorts und Bundesländer, damit Gewaltschutz in allen Bereichen mitgedacht wird.

Der erste Schritt dafür ist getan: Eine neue Koordinierungsstelle – eingerichtet durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) – erarbeitet gemeinsam mit den Bundesressorts eine Gesamtstrategie, die als Grundlage unserer weiteren Maßnahmen in diesem Bereich dienen wird.

Familienministerin Lisa Paus bei der Vorstellung der Kriminalstatistik mit Innenministerin Nancy Faeser.
Familienministerin Lisa Paus bei der Vorstellung der Kriminalstatistik mit Innenministerin Nancy Faeser.

© Foto: Kay Nietfeld/dpa

Körperliche Gewalt oder Femizid – das Töten von Frauen, weil sie Frauen sind – ist aber oft nur der grausame Schlusspunkt. Das Problem ist ein gesamtgesellschaftliches: Mindestens ein Drittel aller Frauen in Deutschland erleben in ihrem Leben physische oder sexualisierte Gewalt. Das bedeutet: Jede und jeder von uns kennt statistisch gesehen mindestens eine Frau, die körperlicher oder sexualisierter Gewalt ausgesetzt war.

Es braucht mehr Aufklärung, Präventionsarbeit und Bewusstsein in der Öffentlichkeit.

Lisa Paus und Ricarda Lang

Nach wie vor werden viele dieser Fälle niemals bekannt. Denn oftmals trauen sich Frauen nicht, Beratung oder Hilfe zu suchen, spielen eigene Erfahrungen herunter oder verschweigen sie. Deshalb wird das Bundesfrauenministerium gemeinsam mit dem Bundesinnenministerium und dem Bundeskriminalamt eine Dunkelfeldstudie zur Gewaltbetroffenheit von Frauen und Männern durchführen. Nur mit verlässlichen Zahlen lassen sich künftig verlässlichere Maßnahmen zum Schutz erarbeiten.

Solche Maßnahmen sind aber nur eine Säule. Es braucht mehr Aufklärung, Präventionsarbeit und Bewusstsein in der Öffentlichkeit. Dazu gehört auch, sensibel zu sein, da, wo Gewalt beginnt: bei unwidersprochenem Alltagssexismus und Frauenverachtung oder sexualisierten Übergriffe am Arbeitsplatz, bei Stalking, psychischem Druck oder Hass im Netz. Denn auch im digitalen Raum sind Frauen besonders häufig betroffen.

Grünen-Chefin Ricarda Lang wird im Netz immer wieder angefeindet.
Grünen-Chefin Ricarda Lang wird im Netz immer wieder angefeindet.

© Carsten Koall/dpa

Deswegen hat das BMFSFJ jetzt gerade zusätzliche Mittel für die Beratungsstelle HateAid auf den Weg gebracht: Als Anlaufstelle für Betroffene wird die Organisation in den nächsten drei Jahren mit rund 1,7 Millionen Euro gefördert.

Doch es bleibt viel zu tun. Denn gewaltbetroffene Frauen brauchen Schutz: schnell, lokal und unbürokratisch. Das Hilfesystem mit Beratungseinrichtungen, Hilfetelefon und Frauenhäusern muss bedarfsgerecht und betroffenengerecht sein. Daher werden wir auch im zweiten Ampeljahr alles daran setzen, hier voranzukommen.

Bislang ist die die Verfügbarkeit und die Finanzierung von Schutz und Beratung in den Ländern sehr unterschiedlich; und es fehlt insgesamt an Kapazitäten. Durch eine bundesgesetzliche Regelung soll künftig die Hilfe bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt bundesweit verbessert werden. Unser Ziel ist es, dass jede Frau in Deutschland, egal, in welchem Bundesland und egal, ob sie in der Stadt oder auf dem Land wohnt, Zugang zu Schutz erhält, zum Beispiel zu einem Frauenhausplatz.

Der effektive Schutz von Frauen vor Gewalt ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung und ein Sicherheitsthema. Innere Sicherheit gibt es nicht ohne Gewaltschutz. Wir werden als Ampel weiterhin daran arbeiten, dass der Anspruch auf Sicherheit für die gesamte Gesellschaft, verwirklicht wird. Für jede und jeden in diesem Land.

Zu den Autorinnen: Lisa Paus (Grüne) ist seit Ostern Ministerin für Familien, Senioren, Frauen und Jugend. Ricarda Lang ist Parteivorsitzende der Grünen.

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