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Patientenpsychologie: „Ich fühle mich krank“

16 bis 18 Mal im Jahr geht der Deutsche zum Arzt. Dabei besagt eine Faustregel: 900 von 1000 medizinischen Problemen könnten die Patienten selbst lösen.

In der griechischen Antike war der Gott Asklepios für die Gesundheit zuständig. Der Patient besuchte ein Asklepios-Heiligtum, im Schlaf tauchte dann der Gott auf und erteilte heilsame Ratschläge. Asklepios hat sein Schlaflabor dichtgemacht, aber gleich nebenan gibt es eine kuschelige Gemeinschaftspraxis: Drs. Merkel & Rösler, alle Kassen. Sie sind dem deutschen Patienten im Traum erschienen. „Die Praxisgebühr ist dir erlassen, gehe nun unbesorgt zum Arzt“, haben sie ihm eingeflüstert.

Wird jetzt alles besser, da wir die Ärzte-Flatrate wiederhaben? Laut Statistik ist der Deutsche schon heute ein fleißiger Praxisgänger. Nach einer Auswertung aus dem Jahr 2010 bringt es der Bundesbürger auf 16 bis 18 Arztbesuche im Jahr, er liegt damit weit vor den Polen und Franzosen (sieben- bis achtmal im Jahr), den Belgiern (sechsmal) und den Skandinaviern (drei- bis viermal). Vielleicht sind wir bei Arztbesuchen absolute Weltspitze, trotz Praxisgebühr.

Natürlich, Statistiken haben ihre Tücken, auch die eben zitierte – sie ist von einer Krankenkasse. Immerhin sollte man hoffen, dass fleißige Arztbesuche eine längere Lebenserwartung nach sich ziehen. Leider Fehlanzeige. Zwar rennt der Deutsche sechsmal häufiger zum Arzt als der Norweger, aber sein Leben endet im Schnitt mit 80 Jahren, das des Norwegers mit 81.

Nun weiß man, dass der Wikinger hart im Nehmen ist, kein Wort für „Hörsturz“ hat und sich die Zecken selber aus der Haut zieht, wie der Berliner Allgemeinmediziner Harald Kamps aus langer Praxistätigkeit in Norwegen berichtet. Vielleicht aber beherzigen die Norweger auch eine von Kamps in der „Zeit“ zitierte Faustregel: Von 1000 medizinischen Problemen können 900 von den Betroffenen gelöst werden. Von den verbliebenen 100 können 90 vom Hausarzt geklärt werden, von den restlichen zehn neun vom Facharzt. Ein Patient muss ins Krankenhaus.

Nein, der deutsche Patient ist kein Hypochonder. Er ist einfach nur schlecht informiert. Und hat seine Gesundheit an Fachleute delegiert. Von überallher prasseln Meldungen von interessierter Seite auf ihn ein, die ihn für krank oder hochgradig gefährdet erklären. Hinter jedem Kopfschmerz wird ein Hirntumor vermutet, hinter jedem Rückenschmerz ein Bandscheibenvorfall, hinter jeder Schlappheit ein Burnout-Syndrom, hinter jedem Herzrasen ein Infarkt. Wie einfach hatte es der Patient da zu Asklepios’ Zeiten, als seine Probleme im Schlaf gelöst wurden. Hartmut Wewetzer

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