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Meinung: Pflegefall Deutschland

Schadet Harianto Wijaya unserem Land? Raubt der 26-Jährige einem einzigen der nun bald wieder vier Millionen deutschen Arbeitslosen die Chance auf einen Job?

Von Antje Sirleschtov

Schadet Harianto Wijaya unserem Land? Raubt der 26-Jährige einem einzigen der nun bald wieder vier Millionen deutschen Arbeitslosen die Chance auf einen Job? Man hat solche Fragen in den vergangenen 16 Monaten kaum gehört. Damals, genau am 1. August 2000, kam der Mann - geboren in Indonesien - nach Deutschland und erhielt die erste Green Card. Dass man ihm dieses Glück nicht neidet, liegt daran, dass er sich auf die Kunst des Programmierens von Computern versteht.

Solche Fachleute sind in Deutschland Mangelware. Damit die hiesige Wirtschaft im globalen Wettstreit nicht weiter zurückfällt, braucht das Land solche wie Wijaya dringend. Das sieht jeder ein. Auch im Konjunkturtief. Als der Bundeskanzler in diesem Sommer eine weitere Tranche für 10 000 neue Green Cards in der Elektronikbranche genehmigte, gab es daher kaum Kritik.

Ob das nun anders wird? Auch die Betreiber von Pflegeeinrichtungen für alte und kranke Menschen werden zunehmend erdrückt vom Widerspruch zwischen der vielen Arbeit, die sie zu bewältigen haben, und dem wenigen Personal, das sich bei ihnen um Jobs bewirbt. Darüber hinaus werden immer mehr deutsche Rentner von Arbeitskräften betreut, die keine Sozialbeiträge entrichten. Fachkräftemangel und Schwarzarbeit will Bundesarbeitsminister Walter Riester (SPD) ab Januar mit einer Green-Card-Regelung im Pflegebereich begegnen. Ähnlich wie im Bereich der Informationstechnologie werden Fachleute - wahrscheinlich meist aus Osteuropa - eine befristete Arbeitserlaubnis erhalten.

Können denn nicht Arbeitslose aus München oder Rostock solche Jobs machen, fragt man sich? Benötigen wir in Deutschland jetzt auch zum Füttern, Umbetten und Frisieren unserer Rentner Arbeitskräfte aus dem Ausland? Ja, wir brauchen sie. Nicht nur an den Computern unserer Hightech-Industrie und den Krankenbetten unserer Großeltern. In Zukunft werden noch viel mehr Branchen offenbaren, dass sie die Nachfrage nach ihren Produkten oder Dienstleistungen nicht mehr befriedigen können, weil sie keine Arbeitskräfte finden. In der Landwirtschaft. Im Handwerk. Und auch in der Gastronomie.

Gewiss könnten im Augenblick viele der freien Stellen mit Arbeit Suchenden im Inland besetzt werden. Flexiblere Umschulungsprogramme könnten aus Metallarbeitern Handwerker machen. Kombilohnmodelle könnten das Missverhältnis von Sozialhilfe und Nettoverdienst im Niedriglohnbereich glätten und viele ermuntern, sich für Arbeitsplätze zu interessieren, die ihnen bis jetzt zu unattraktiv erscheinen. Bisher scheitern all diese Projekte. Am politischen Willen. Und an der praktischen Umsetzung, wie zahlreiche Modellversuche in Ost und West gezeigt haben.

Doch auch erfolgreiche Arbeitsmarktreformen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es der deutschen Wirtschaft mit jedem Jahr schwerer gelingen wird, ihre Fach- und Lehrkräfte in der eigenen Bevölkerung zu finden. Der Grund: Deutschland überaltert.

Schon heute werden hier zu Lande viel weniger Kinder geboren als in allen anderen Ländern der Europäischen Union. Von asiatischen Gesellschaften ganz abgesehen. Und die Alten unter uns - heute noch in der Minderzahl - werden bald mehr als 60 Prozent der Bevölkerung bilden. Arbeitskräfte aus anderen Ländern werden also immer dringender benötigt. Nicht nur, um im Freizeit- und Pflegebereich die Bedürfnisse der älteren Menschen zu befriedigen. Auch, um deutsche Unternehmen in Zukunft noch erfolgreich produzieren zu lassen.

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