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Meinung: Polizeireform in Nordirland: Das Kaninchen beißt die Schlange

Nach Monaten der Stagnation ist Bewegung in Nordirlands Politik gekommen: Die irische Regierung, die Katholische Kirche und die gemäßigte Katholikenpartei Nordirlands empfehlen der katholischen Jugend Nordirlands eine Karriere im Polizeidienst. In jener Institution also, die den Katholiken als Unterdrückungsinstrument der Protestanten und der britischen "Besatzer" galt.

Nach Monaten der Stagnation ist Bewegung in Nordirlands Politik gekommen: Die irische Regierung, die Katholische Kirche und die gemäßigte Katholikenpartei Nordirlands empfehlen der katholischen Jugend Nordirlands eine Karriere im Polizeidienst. In jener Institution also, die den Katholiken als Unterdrückungsinstrument der Protestanten und der britischen "Besatzer" galt.

Die Einigung über den Aufbau und die Rechenschaftspflicht der Ordnungshüter ist eine notwendige Voraussetzung für das friedliche Miteinander. Ein viel versprechendes Signal nach dreißig Jahren Blutvergießen und achtzig Jahren Streit um die Legitimität des nordirischen Staates. Anders als beim Konflikt über die Waffen der Untergrundkämpfer geht es bei der Polizeireform um ein sachliches Problem, das früher oder später zur Befriedigung aller gelöst werden muss. Die Forderung nach der Entwaffnung der IRA entsprang hingegen immer schon dem metaphysischen Denken: Im Grunde wollen Nordirlands Protestanten nicht verborgene Gewehrläufe sehen, sondern Gewissheit über die langfristigen Absichten der IRA erlangen. Die gewählte Methode indessen birgt den Nachteil, dass eine kriminelle Organisation ein Vetorecht über den politischen Prozess erhält.

Die Zustimmung der gemäßigten Nationalisten zur Polizeireform bedeutet aber weit mehr als nur die Einigung in einer zentralen Sachfrage: Mit dem riskanten Bekenntnis will die politische Mitte die Initiative zurückgewinnen. Die Ergebnisse der britischen Unterhauswahl in Nordirland im Juni waren ein Schock. Auf beiden Seiten des konfessionellen Grabens legten die Radikalen zu. Erstmals waren die moderaten Katholiken der Social Democratic and Labour Party (SDLP) von der maßlosen Sinn Féin überflügelt worden. Jene, die in der Bürgerrechtsbewegung vor dreißig Jahren geformt worden waren und damals gelernt hatten, wohin ungebremste Maximalforderungen führen, wirkten ermattet und überholt.

Sinn Féin hat die mühsam ausgehandelte Polizeireform längst verworfen. Doch die Zeiten, in denen sämtliche Nationalisten der Insel die Arroganz und die Doppelzüngigkeit Sinn Féins willfährig schluckten, um den Eintritt der Partei in die demokratische Politik zu befördern, sind wohl vorbei. Auf dem Höhepunkt ihres Erfolges an der Wahlurne steht die Partei ohne ihre mächtigen Verbündeten da - Washingtons Sympathien verflüchtigten sich spätestens, als aus dem kolumbianischen Dschungel die Nachricht von einer Verbrüderung zwischen der IRA und der Guerilla-Armee FARC kam.

Und auch der irischen Regierung wird der republikanische Wechselbalg unheimlich, denn Sinn Féin könnte nach der nächsten Parlamentswahl mit einer Hand voll Sitzen zur Königsmacherin südlich der irischen Grenze werden. Diese dramatischen Perspektiven haben nun eine Kurskorrektur ausgelöst. Sinn Féin soll zwar nicht ausgegrenzt werden - dieser Ansatz ist erprobt worden und gescheitert -, sondern vielmehr zur demokratischen Hygiene gezwungen werden. Die Willkürjustiz der IRA muss ein Ende haben. Das Argument, die Polizei sei parteilich und unkontrollierbar, ist zum Selbstzweck geworden. Die Rückbesinnung der moderaten Nationalisten auf ihre eigenen Interessen wird dem geschwächten Chef der protestantischen Unionisten, David Trimble, eine Atempause verschaffen. Letztlich allerdings werden Nordirlands Wähler darüber zu befinden haben, ob der Neubeginn glaubwürdig ist, und ob jene, die ihn mutig einleiteten, honoriert werden.

Martin Alioth

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