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PORTRÄT SINÉ, FRANZÖSISCHER KARIKATURIST:: "Ich lasse mich nicht entmannen"

Das wegen seines Spotts gefürchtete Satireblatt "Charlie-Hebdo" hat sich von seinem dienstältesten Mitarbeiter getrennt, dem 79-jährigen Karikaturisten Siné. Die Unabhängigkeit der französischen Medien hat in dem einen Jahr seit Sarkozys Amtsantritt gelitten.

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy sorgt sich um die Presse. Im kommenden Herbst will er eine Konferenz einberufen, auf der Verleger, Journalisten, Medienexperten und Politiker über Auswege aus der chronischen Zeitungskrise beraten sollen. Ob bei dieser Gelegenheit auch über das Verhältnis zwischen Politik und Medien gesprochen wird, bleibt abzuwarten. Anlässe – von dem auf Sarkozys Betreiben gefeuerten Chefredakteur der Illustrierten „Paris Match“ bis zur Einmischung in die Programmgestaltung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens – gäbe es genug.

Wie sehr die Unabhängigkeit der Medien in dem einen Jahr seit Sarkozys Amtsantritt gelitten hat, zeigt nun ein Beispiel vorauseilenden Gehorsams. Es trug sich dieser Tage bei der Wochenzeitung „Charlie-Hebdo“ zu. Das wegen seines Spotts gefürchtete Satireblatt trennte sich von seinem dienstältesten Mitarbeiter, dem 79-jährigen Karikaturisten Siné. In einer Chronik hatte er Jean Sarkozy, den Sohn des Staatspräsidenten angerempelt. Jean, der sich seit dem Frühjahr in der Politik versucht und kürzlich seine Verlobung mit einer millionenschweren Erbin bekannt gab, sei „ein würdiger Sohn seines Papa“, konnte man da lesen. „Er hat erklärt, er wolle zum Judentum übertreten, bevor er seine Braut heiraten werde, eine Jüdin, Erbin der Gründer der (Elektro-)Kette Darty. Er wird es noch weit bringen, der Kleine.“

Niemand hatte den Text gelesen, auch Chefredakteur Philippe Val nicht. Erst als das Blatt nach einigen Tagen des Antisemitismus bezichtigt wurde, reagierte Val und verlangte eine Entschuldigung Sinés. Dazu wäre dieser bereit gewesen. Als er aber erfuhr, dass der Chefredakteur die Entschuldigung mit einer Verurteilung des Autors veröffentlichen wollte, um einer Klage Sarkozys zuvorzukommen, fand Siné das „zum Kotzen“: „Lieber lasse ich mich entmannen.“

Er sei kein Antisemit, verteidigte sich Siné gegen den von dem Philosophen Bernard-Herny Lévy erhobenen Vorwurf. Er habe nur den Opportunismus des Präsidentensohns anprangern wollen und hätte genau so geschrieben, wenn dieser zum Islam übertreten wollte, um die Tochter eines Emirs zu heiraten. 2000 Prominente setzten sich in einer Petition für Siné ein. Doch diese Woche erschien das Satireblatt erstmals ohne die Kolumne des Redaktionsveteranen. Ein „kastriertes Charlie-Hebdo“, wie ein Freund aus der Redaktion in seinem Internetblog klagt. Hans-Hagen Bremer

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