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Meinung: Positionen: Amerikas Feind in unserem Land

Nach Afghanistan wird Amerika überprüfen, welcher andere Staat mit dem Terrorismus verbunden ist. Möglicherweise ist es der Irak, oder Iran.

Nach Afghanistan wird Amerika überprüfen, welcher andere Staat mit dem Terrorismus verbunden ist. Möglicherweise ist es der Irak, oder Iran. Vielleicht ist es aber auch der Libanon - schließlich weisen die Amerikaner immer wieder auf die Hisbollah hin. Seit den amerikanischen Angriffen auf Afghanistan, seit dem 7. Oktober, rufen sich die Libanesen immer wieder die Karte ihres Landes ins Gedächtnis und vergegenwärtigen sich die Orte, an denen die Hisbollah konzentriert ist. Bestimmte Gebiete im Geist zu sondieren und einzugrenzen, das haben die Libanesen in den Jahren des Krieges gelernt. Wie sie es auch trainiert haben, solche Gebiete aus ihrer Gefühlswelt zu verdrängen. Was bedeutet, dass sie sich gegenüber den Parteien, die in diesen Gebieten ansässig sind, gleichgültig verhalten.

Zum Thema Online Spezial: Kampf gegen Terror Hintergrund: US-Streitkräfte und Verbündete Schwerpunkt: US-Gegenschlag, Nato und Bündnisfall Schwerpunkt: Osama Bin Laden Schwerpunkt: Afghanistan Chronologie: Terroranschläge in den USA und die Folgen Fotostrecke: Bilder des US-Gegenschlags Umfrage: Befürchten Sie eine Eskalation der Gewalt? In der Anfangszeit, als die Hisbollah sich formierte, hat sie den Menschen mit ihrer militanten Rigorosität und ihrem Dogmatismus Angst gemacht. Jetzt ist das nicht mehr so, weil die Gesichter ihrer Repräsentanten jeden Tag in den Nachrichten, in staatlichen Gremien, ja, selbst bei gesellschaftlichen Ereignissen zu sehen sind. Die Libanesen verknüpfen den Namen Hisbollah nicht einmal mehr mit Terror, denn für so brutal, mit einem Flugzeug direkt auf ein Gebäude zuzusteuern, halten sie sie nicht. Außerdem hat die Hisbollah ihren Dogmatismus auf ein Maß zurechtgestutzt, das auch bei vielen anderen libanesischen Gruppierungen zu finden ist.

Aber die Libanesen wissen auch, dass sich das Bild, das in ihren Köpfen existiert, sehr wohl von dem anderer Menschen unterscheidet. Während die Libanesen zum Vergessen neigen, hüten die Amerikaner ihre Archive. Die Stärke des Schlags, der Amerika am 11. September getroffen hat, hat große Wut hervorgerufen, und diese Wut legt sich erst, wenn es einen Schuldigen gibt, über dem sie sich entladen kann. Deshalb brauchte man diesen Schuldigen sofort. Vielleicht werden die Untersuchungen tatsächlich belegen, dass Osama bin Laden mit seiner Gruppe der Täter ist. Zweifel kommen aber, wenn man bedenkt, dass der militärische Angriff schon zu einem frühen Zeitpunkt vorbereitet wurde, als die Suche nach Beweisen erst anlief.

Die Libanesen verschieben ihre Angst jetzt erst einmal auf später und beobachten die weitere Entwicklung in Afghanistan. Es ist noch nicht lange her, als man voller Abscheu die Zerstörung der Buddha-Statuen verfolgt hat. Die Bilder in der Presse, die afghanische Frauen zeigen, und die Nachrichten, dass sie von Arbeit, Bildung und möglicherweise auch von ärztlicher Behandlung ausgeschlossen sind, lassen einen durchaus wünschen, dass die Taliban abtreten. Außerdem wünscht sich hier jeder, dass mit dem Terror Schluss ist, denn solange es irgendeinen Verdacht gegenüber dem Libanon gibt, fühlen wir uns bedroht.

Aber ich glaube nicht, dass die Libanesen den Amerikanern nach dem Anschlag auf das World Trade Center näher gerückt sind. Im Libanon werden die Menschen die zwei Türme genauso verdrängen, wie sie es mit ihren gefährdeten Gebieten tun, und ihre Gefühle werden beim Mitleid mit den Opfern nicht stehen bleiben. Die Haltung gegenüber Amerika wird so sein wie vorher: hin und her gerissen und widerspruchsvoll, so dass der Einzelne nicht weiß, welche Position er beziehen soll. Hier, wie irgendwo anders, ist der politische Mensch auch einer, der leben und es sich gut gehen lassen will, und wo beides zusammengeht, wird man Amerika verehren und gleichzeitig anfeinden.

Das Verhältnis zu Europa ist für die Menschen hier längst nicht so widersprüchlich wie zu Amerika. Wer hier bei Diskussionen im Café oder zu Hause Amerika unterstützt, kommt damit nicht sehr weit. Sofort wird er von den anderen daran erinnert, dass Amerika im Konflikt mit Israel immer gegen die Araber Partei ergriffen hat, und das in einer Art und Weise, die man schon als feindselig bezeichnen könnte. Man muss etliche Etappen amerikanischer Politik und viele Äußerungen amerikanischer Politiker vergessen, wenn man ihre vorschnelle Verurteilung verhindern will.

Wahrscheinlich befürwortet die Mehrheit der Libanesen den Kampf gegen den Terrorismus. Aber diese Mehrheit bestimmt nicht über das, was man als "öffentliche Meinung" bezeichnet. Anders gesagt: Sie erhebt nicht offen den Anspruch, die öffentliche Meinung zu sein. Das hat nichts mit Statistik oder Umfragen zu tun, sondern mit dem Grad des Eifers, mit dem man die Sache betreibt. Jene, die als Mehrheit den Kampf gegen den Terrorismus befürworten, vertreten ihre Meinung mit mäßigem, ja, schwachem Eifer.

Es ist auf jeden Fall die schweigende Mehrheit, die Schaden nehmen wird. Schon einmal haben Krieger diese libanesische Mehrheit in ihrem Land besiegt und ihre Nachfahren in die Länder des Westens versprengt. Wann immer in einem Land Krieg herrscht, machen sich die Menschen auf die Suche nach einem Land, das ihnen Schutz bietet. Wenn sie jetzt von Hetzkampagnen gegen Muslime in den westlichen Ländern hören, haben sie nicht nur das Gefühl, dass ihnen die Tür vor der Nase zugeschlagen wird, sondern sie haben auch Angst um ihre Kinder und Verwandten, die dort leben.

Es ist eine Mehrheit, die bereits von jenem Tag an, dem 11. September, Schaden nahm, und nun wartet sie ab, was ihr dieser Tag an Unheil noch bringen wird.

Hassan Dawud

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