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POSITIONEN: Aus Moskau lernen – für Peking

Die Olympischen Spiele sollten politisch boykottiert werden. Das lehrt die Geschichte des olympischen Boykotts, meint Wolfgang Neskovic.

Die jüngsten Ankündigungen Chinas, den Informationszugang zum Internet für Journalisten einzuschränken, verlangen nach anderen Reaktionsmustern als den bisher praktizierten. Das lehrt die Geschichte des olympischen Boykotts: Ein Land, dessen Führer sich für Kommunisten halten, das wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen in der Kritik steht, gewinnt die Bewerbung um die Olympischen Spiele. Das wird von vielen mit der Hoffnung auf stärkere Beachtung der Menschenrechte verbunden. Die Erwartungen werden jedoch enttäuscht, als das Land in einem Nachbarstaat militärisch interveniert, und plötzlich werden Stimmen laut, die einen Boykott der Spiele fordern. So geschehen im Umfeld der Olympischen Spiele in Moskau 1980.

Die Geschichte schien sich im Hinblick auf die Sommerspiele in Peking zunächst zu wiederholen: Zahlreiche Boykott-Befürworter mahnten, dass deutsche Sportler den Wettkämpfen fernbleiben sollten. Sie verlangten ihnen damit das größte Opfer ab, das ein Sportler bringen kann: auf Medaillen und Ruhm zu verzichten, die oft einzige Belohnung für jahrelange Trainingsfron.

Doch die Forderungen nach einem Boykott der Sportler verhallten schnell. Wer nach neuen Formen des Widerstands sucht, muss aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Die Erfahrungen von Moskau zeigen, dass ein Boykott der Sportler vor allem eins erzeugt: Frust bei den Athleten und Unverständnis bei den Sportfans. Diese Erfahrungen sind der chinesischen Regierung bekannt.

Der Westen hat daher im Pokerspiel um die Funktion der Spiele ein schlechtes Blatt in der Hand. Für den Westen liegt diese Funktion (auch) in der Verbreitung der Menschenrechte, für China als Gastgeber liegt sie in der Ausweitung seines internationalen Ansehens. Und gerade weil der Westen ein schlechtes Blatt hat, kann China sein Ziel verfolgen, ohne sich um die Menschenrechte sorgen zu müssen. Wenn Sportler und Politiker in jedem Fall anreisen, werden nicht nur die üblichen Spiele, sondern wird auch der übliche Prestigegewinn stattfinden, während die Menschenrechte aus dem Blickfeld geraten. Jetzt hat China in diesem Pokerspiel den Einsatz erheblich erhöht. Es hat die Zusage zurückgezogen, ausländischen Journalisten ungehinderten Zugang zum Internet zu gewähren. Von einigen Webseiten, hieß es, ginge eine Störung der chinesischen öffentlichen Ordnung aus. Mehr als nur peinlich ist es, dass das IOC diese Einstufungen akzeptierte.

Es ist höchste Zeit, die Karten neu zu mischen. Der Westen braucht ein starkes Blatt für die Durchsetzung der olympischen Idee. Die nämlich nennt die Olympische Charta, die auch Peking unterzeichnet hat, und die neben Gewaltfreiheit auch die Einhaltung der Menschenrechte, Glaubens- und Religionsfreiheit verlangt.

Das deutsche NOK sollte sich sofort zu einer anderen, einer modernen Form des Boykotts durchringen. Zu einem Boykott, der die Fehler von 1980 vermeidet – indem er genau diejenigen ein Zeichen setzen lässt, von denen man es auch erwartet: Funktionäre und Politiker. In der Praxis würde das bedeuten: Sportler, Trainer und Teambetreuer fliegen nach Peking, alle sonstigen offiziellen Repräsentanten – Sportfunktionäre und Vertreter aus Politik und Wirtschaft – halten sich fern. Wenn China die olympische Idee auf einen reinen Sportwettkampf reduzieren möchte, so muss der Westen dafür sorgen, dass das Ereignis nicht mehr als sportliches Prestige verschaffen kann. Der politische Prestigegewinn bleibt aus, wenn die Politiker ausbleiben.

Das würde dem olympischen Gedanken ebenso wie der Bedeutung der Menschenrechte gerecht werden. Und es entspräche auch der Trennung der politischen und der sportlichen Sphäre, wie sie der Begründer der modernen Spiele, Pierre de Coubertin, gefordert hat. Auch das Motto, das er einst prägte, behielte seine Gültigkeit: „All games – all nations.“

Der Autor ist rechtspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Deutschen Bundestag.

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