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POSITIONEN: Die DDR holt uns ein

Es mufft bei der großen Koalition wie einst bei der Nationalen Front Von Dirk Niebel

Neulich bei Kerner: Kati Witt, die Eisheilige der Nation, ist mit ihren Eltern da. Kerner fragt, ob die Eltern damals die Welterfolge ihrer Tochter „bei Oertel“ gesehen hätten. Mutter Witt ahnt die Falle. Sie sagt verschmitzt: „Das wurde doch international übertragen“. Vater Witt rückt gerade, dass selbstverständlich der DDR-Kanal Bild und Ton nach Chemnitz brachte. Nach der DDR sei’s aber auch schön gewesen, doch mal mit dabei sein zu können im nichtsozialistischen Ausland – allerdings musste man sich in Lillehammer selbst um die Karten für die Kür kümmern.

Die Freiheit ist kein Himmelreich, kann sogar gefährlich sein. Auch wenn man sich wie Mutter Witt nachträglich beim Ostfernsehen ertappt fühlt. Was denken jetzt die Leute über mich? Ist die Ängstlichkeit gesamtdeutsch? Ist eine Offenherzigkeit für den Marktwert ebenso unheilvoll, wie es einst eine Unbedachtheit gegenüber dem Denunzianten für die Karriere war?

Ist in diesem Sinne Angela Merkel eine besonders bürgernahe und gesamtdeutsche Politikerin? Sich nicht regen bringt Segen. Kein Wort zu viel. Nur nicht anecken. „Kinder mit ’nem Willen bekomm’ eins auf die Brillen.“ Das hat Margot Honecker gedacht. Gesagt hat es mir aber mal eine Hamburger Lehrerin. Angela Merkel hat ihre Lektionen nicht vergessen. Doch welche war wofür? War der Wahlabend 2005 die Strafe für den Mut des Professors aus Heidelberg oder für den Unmut über den Mut in den eigenen Reihen? Dann ist doch am sichersten, man lässt weder Mut noch Unmut aufkeimen. Gedacht, getan.

So mufft es bei der großen Koalition wie einst bei der Nationalen Front der DDR. Umfragen sollen den Weg des Fortschritts weisen wie einst Politbürobeschlüsse. Wahlen muss man nicht fürchten, solange Umfragen Machterhalt im Block der Parteien und Massenorganisationen versprechen. Die Oppositionsrechte im Parlament sind koalitionsfreundlich gering ausgestattet. Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände sind domestiziert: Tarife werden im Kanzleramt ausgehandelt. Im Gesundheitswesen herrscht Planwirtschaft. Das Weltgeschenk der Konjunktur wird genommen wie einst der Strauß-Honecker-Kredit. Wozu dann noch heikle Strukturreformen beim Steuersystem oder am überregulierten Arbeitsmarkt?

Mit dem tiefen Griff in Steuerzahlers Tasche wird die große Umverteilungsmaschine versorgt. Leistung und mehr Netto als gesellschaftlicher Antrieb werden missachtet; schließlich soll der Staat die Segnungen spenden. Und für die internationale Anerkennung der demokratischen Republik der Deutschen hat sich die Bundeskanzlerin aufgerieben, auch nicht hier und da den erhobenen Zeigefinger gescheut, wenn’s nötig war. Das kam an. Die Neujahrsansprache aus dem Bundeskanzleramt lobte folgerichtig die eigene Bilanz wie dereinst ein Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees die Erfolge seit dem letzten Plenum.

„Mehr Freiheit wagen“ wollte die Kanzlerin am Start. Sie ist zurückgetreten von diesem Anspruch. Gewollt oder ungewollt: Aus der Politik der kleinen Schritte ist eine Politik des Rückschritts geworden. Mehr Misstrauen üben, heißt die tatsächliche innenpolitische Devise. Neugieriger und allwissender war der Staat nie. Der Bürger wird so gläsern wie die Kuh im Dresdner Hygienemuseum. Vorratsdatenspeicherung bedeutet Generalverdacht, Fingerabdruck im Pass nicht weniger. Steueridentifikationsnummer hieß in der DDR Personenkennzahl. Die Balance von Bürger- und Freiheitsrechten gelingt immer weniger. Ein „unsichtbares Überwachungsnetz“ moniert der Bundesdatenschutzbeauftragte. Das BKA will nach dem Lausch- auch den Spähangriff. Autokennzeichen werden schon automatisch mit Fahndungslisten verglichen. Online-Durchsuchungen nehmen Gestalt an.

Terrorabwehr ist eine wichtige Aufgabe unseres Staates, und er erfüllt sie gut. Dafür braucht er die Aufmerksamkeit der Bürger. Horrorszenarien, wie sie dem Innenminister der großen Koalition ab und an entschlüpfen, sind kontraproduktiv. Weil in der DDR tagein, tagaus die Gefahr durch die „Bonner Ultras“ ausgemalt wurde, hat schließlich keiner daran geglaubt. Der große Unterschied: Die Terrorgefahr ist real.

Der Sozialismus ist von gestern und überall komplett gescheitert. Doch Marx hatte recht: Ein Gespenst geht um in Europa. Es lässt sich nicht nur in Parteiprogrammen nieder, gern auch im Alltag. Ganz leise, mit kleinen Schritten. Es ist ein gesamtdeutscher Glaube, dass das nicht schaden kann. Noch weit weg von Honecker, aber schon nah bei Lafontaine. Bodo Ramelow, der für die Kommunisten Thüringen zurückgewinnen will, liegt nicht so falsch: „Mehr links war nie.“ Danke Angela. Danke Kurt.

Der Autor ist Generalsekretär der FDP.

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