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Positionen: Ethnische Säuberung im Irak

Im Irak herrschen anarchische Verhältnisse - und zwar seit Beginn des Krieges vor fünf Jahren. Assyrische Christen werden verfolgt und grausam ermordet. Zu ihrer Umsiedlung gibt es keine Alternative. Ein Kommentar.

Im Oktober 2006 wird in Bagdad ein zwei Monate alter Säugling entführt. Da seine Mutter das geforderte Lösegeld nicht aufbringen kann, wird ihr die Leiche zugestellt: enthauptet, geröstet und auf Reis gebettet. Am 21. Oktober 2006 enthaupten vermummte muslimische Milizionäre den 14-jährigen Ajad Tariq in Bakuba bei Bagdad, weil er ein „dreckiger christlicher Sünder“ sei. Kurz zuvor, am 10. Oktober, wird ein gleichaltriger Leidensgenosse im christlichen Al-Basra-Viertel von Mossul gekreuzigt.

Seit Ausbruch des Irakkriegs vor fünf Jahren gehören anarchische Verhältnisse zum Alltag in allen Teilen des Landes. Die jüngste Entführung und kaltblütige Ermordung des chaldäisch-katholischen Erzbischofs von Mossul, Paulos Faraj Rahho, ist ein kleiner Ausschnitt des Gesamtbilds. Unter anderem werden Dutzende von Geistlichen verschleppt. Manche kommen gegen Lösegeld frei, andere werden grausam ermordet.

Die Liste der Gräueltaten, denen Christen seit April 2003 zum Opfer fallen, ist lang: Auf über drei dutzend Kirchen werden Bombenanschläge verübt. Junge Frauen werden entführt und vergewaltigt, woraufhin manche von ihnen Selbstmord begehen. Im Bagdader Markt Dora werden in der Nacht zum 7. September 2005 500 Geschäfte assyrischer Christen in Brand gesetzt. Im autonomen Kurdengebiet kommt es zu Kindesentführungen, deren Opfer zwangsweise der Obhut kurdischer Familien überstellt oder mit Muslimen zwangsverheiratet werden.

Immer wieder kommt es zu Vertreibungen von Christen durch sogenannte Schutzgelder, die islamische Extremisten erheben. Nichtzahlungsfähige Familien müssen ein Familienmitglied am folgenden Freitag in die Moschee schicken, um dort in aller Öffentlichkeit zum Islam überzutreten. Andernfalls droht Ermordung. Manchmal gibt es noch eine letzte vierundzwanzigstündige Gnadenfrist, um Haus und Habe zu verlassen und mit dem nackten Leben zu fliehen.

Über die Hälfte der assyrischen Christen hat den Irak bereits verlassen. Für die meisten kommt keine Rückkehr mehr infrage. Dennoch wollen weite assyrische Kreise das bevorstehende Ende ihrer 2000-jährigen Geschichte im Irak nicht wahrhaben. Mit ihnen betrauern gemäßigte Muslime einen unschätzbaren zivilisationsfördernden Faktor, der dem Nahen Osten politische und kulturelle Lebensqualität stiftet.

Wie der ermordete Erzbischof Rahho lehnen auch seine Amtsbrüder es ab, ihre bedrängte Herde im Stich zu lassen, um sich persönlich ins Ausland zu retten. Dennoch räumen Kirchenfürsten im Nahen Osten hinter mehr oder weniger vorgehaltener Hand inzwischen ein, dass es für die assyrischen Christen keine realistischen Aussichten auf Rückkehr und Neuanfang in ihrer Heimat gibt. Obgleich der Papst für den Fortbestand der Christenheit im Zweistromland betet, weiß man auch im Vatikan, dass es keine Alternative zur systematischen Umsiedlung der Assyrer in westliche Industriestaaten gibt.

Auch die europäischen Regierungen erkennen, dass die gigantische Flüchtlingskatastrophe vor der Haustür den EU-Raum destabilisieren kann. Paris hat im März die sofortige Aufnahme von 500 nichtmuslimischen Flüchtlingen bekannt gegeben. Am Wochenende forderte Erika Steinbach (CDU), verfolgte irakische Christen in Deutschland aufzunehmen. Waren bislang die Gegner einer offenen Asylpolitik in der Regierungskoalition tonangebend, so könnte dies ein Umdenken signalisieren. Otmar Oehring von „missio“ konfrontiert Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung seit langem mit dem akuten Handlungsbedarf: „Angesichts des Ausmaßes der Flüchtlingskatastrophe mit circa 180 000 Christen in den an den Irak grenzenden Erstaufnahmeländern ist es wünschenswert, dass Deutschland 20 000 bis 30 000 Nichtmuslime aufnimmt“, sagte er am Mittwoch.

Der Autor war bis 2007 Referent für Religions- und Glaubensfreiheit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

Thomas Krapf

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