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POSITIONEN: Freiheit zum Tod

Der Suizidhilfe-Beschluss des Ärztetages verletzt das Grundgesetz

Der Bundesärztetag 2011 hat in Kiel mehrheitlich beschlossen, in seiner „Muster-Berufsordnung“ eine Bestimmung einzufügen, wonach Ärzte „keine Hilfe zur Selbsttötung leisten“ dürfen. Damit hat der Bundesärztetag die in den einzelnen Bundesländern bestehenden Landesärztekammern eingeladen, diese Bestimmung mit bindender Wirkung für die in diesen Kammern organisierten Ärzte in deren Berufsordnungen als Berufsausübungsregel aufzunehmen. Doch es besteht eine äußerst hohe Wahrscheinlichkeit, dass eine solche Bestimmung Grundrechte verletzt. Somit stellt sich die Frage, ob die Landesärztekammern diese Regel überhaupt in ihre Berufsordnung aufnehmen dürfen.

Das deutsche Recht gestattet es dadurch, dass es keine entsprechenden Vorschriften kennt, jeder Person, einem anderen Menschen bei einem Suizid in der Weise behilflich zu sein, dass der Suizid nicht mit schrecklichen Folgen misslingt. Artikel 2, Absatz 1 des Grundgesetzes verschafft jedem „das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt“. Insoweit entspricht dies im Wesentlichen auch dem, was Artikel 8, Absatz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) garantiert: den Respekt vor dem Privatleben.

Die Freiheit des Menschen, selbst darüber entscheiden zu dürfen, wann und wie er sterben will, gehört zu diesen Grundrechten: Es geht hier um den Kern des Selbstbestimmungsrechts.

Diese Freiheit ist am 20. Januar 2011 vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in dessen Urteil Haas gegen die Schweiz bestätigt worden. Damit kann niemand mehr behaupten, wer den Freitod wähle, verletze das Sittengesetz: Er macht nur von seinem grundrechtlich verankerten Selbstbestimmungsrecht letztmalig Gebrauch.

Weil aber ein selbst versuchter Suizid ein hohes Risiko des Scheiterns enthält, ist es angezeigt, sich für die Ausführung eines Freitodes fachkundige Hilfe zu verschaffen, um dieses Risiko des Scheiterns auszuschalten. Dies bringt mit sich, dass im Dialog mit dem Helfer überprüft werden kann, ob tatsächlich in der konkreten Situation ein Suizid gerechtfertigt ist. Nach den Erfahrungen der Organisationen, die in der Schweiz Suizidhilfe leisten, bewirkt ein solcher Dialog in den meisten Fällen, dass in der Folge Alternativen zum Leben hin anstelle eines Suizids benannt und gewählt werden können.

Wenn nun der Bundesärztetag versucht, durch eine Regel in den ärztlichen Berufsordnungen dieses Recht zur Beihilfe zum Suizid, das jedermann zusteht, Ärzten zu entziehen, steht diese Regel im Widerspruch zu höherem Recht. Da Landesärztekammern von Gesetzes wegen Körperschaften öffentlichen Rechts sind, haben sie das übergeordnete Recht zu respektieren. Demzufolge ist ihnen versagt, Regeln aufzustellen, welche diesem übergeordneten Recht zuwiderlaufen.

Dies muss sich keine empathisch gesinnte Ärztin, kein empathisch gesinnter Arzt, gefallen lassen. Wer immer diesem Berufsstand angehört und eingesehen hat, dass die Bereitschaft, Suizidhilfe zu leisten, erste Voraussetzung für eine wirksame Suizidversuchs-Prophylaxe und damit für eine Verringerung der hohen Dunkelziffer der einsamen Suizidversuche ist, kann sich gegen eine derartige Von-Oben-Bevormundung rechtlich zur Wehr setzen.

Die deutsche Verwaltungsgerichtsordnung hält dazu mindestens zwei wirksame Klageformen bereit: in deren Paragraph 42 die verwaltungsrechtliche Feststellungsklage, mit welcher ein strittiges Rechtsverhältnis geklärt werden kann, und in Paragraph 47 die Normenkontrollklage, mit der geklärt werden kann, ob eine Norm höherem Recht widerspricht und demzufolge nichtig ist.

Der Autor ist Vorsitzender des

in Hannover ansässigen Vereins „Dignitas – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben“ sowie Gründer und Generalsekretär des Vereins „Dignitas“ in der Schweiz.

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