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POSITIONEN: Nur Teheran würde sich freuen

Die Chance, dass bis Weihnachten über das Start-Abkommen abgestimmt wird, ist gering. Eine Nichtratifizierung wäre aber verheerend für den Abrüstungsprozess.

Wenn er nach Paris berichten würde, dass das neue Start-Abkommen nicht ratifiziert werde, würde man ihn fragen, was er getrunken habe, meinte der französische Botschafter in Washington noch im Sommer dieses Jahres. Denn europäische Regierungen gingen bis vor kurzem von einer Ratifikation des von den Präsidenten Dmitri Medwedew und Barack Obama am 8. April 2010 in Prag unterzeichneten Vertrags zur Reduzierung strategischer Nuklearwaffen aus.

Dieser Vertrag sieht zwar nur moderate Reduzierungen vor, bildet aber den Eckstein der internationalen Bemühungen, die nukleare Proliferation einzudämmen, und er bildet einen ersten Schritt auf dem Weg zu einer nuklearwaffenfreien Welt. Außerdem symbolisiert er den Auftakt zu einer neuen, konstruktiven Zusammenarbeit zwischen Washington und Moskau. Warum sollte er also nicht in Kraft treten?

Obamas Demokraten haben bei den jüngsten Kongresswahlen eine herbe Niederlage erfahren, die Chance, dass „New Start“ in der „Lame Duck“-Session bis Weihnachten zur Abstimmung gebracht wird, ist klein. Damit droht der gesamte Abrüstungs- und Rüstungskontrollprozess – vom Teststoppvertrag über konventionelle Rüstungskontrolle bis hin zu einer Reduzierung substrategischer Nuklearwaffen – in ernsthafte Probleme zu geraten.

Künftig gehören nur mehr 53 Senatoren der Präsidentenpartei an. Zusätzliche Stimmen aus den Reihen der Republikaner dürfte es allenfalls mit weiteren Zugeständnissen der Regierung geben. Falls das Abkommen aber nicht mehr vor Weihnachten zur Abstimmung gestellt wird, muss der Ratifikationsprozess neu aufgerollt werden.

Im Kern steht die Kritik entscheidender Senatoren der Republikanischen Partei wie Jon Kyl und John McCain. Sie haben ein „einseitiges Recht“ Moskaus zur Vertragskündigung kritisiert. Zudem seien Optionen für die Raketenabwehr eingeschränkt worden. Dem Vorwurf mangelnder Finanzmittel zur Modernisierung des amerikanischen Nuklearwaffenarsenals hat Obama zwar eine signifikante Erhöhung der Haushaltsmittel entgegengesetzt. Dennoch bleibt die Kritik grundsätzlich: Man habe zugunsten einer Verbesserung der Beziehungen mit Moskau zu schnell ein Abkommen zu Ungunsten der USA erzielt.

Aufgrund der schwindenden Aussichten auf eine Ratifikation im US-Kongress hat inzwischen der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses der russischen Duma, Konstantin Kosachew, die bis dato positive Abstimmungsempfehlung des Ausschusses zurückgezogen. Falls der Ratifikationsprozess im Januar 2011 neu angesetzt würde, müssten also nicht nur in Washington, sondern auch in Moskau wieder zeitaufwändige Anhörungen durchgeführt werden. Damit droht der Vertrag erneut in die innenpolitischen Mühlen der Wahlkämpfe zu geraten – diesmal aufgrund der 2012 anstehenden Präsidentschaftswahlen in Moskau und in Washington.

Wenn der Vertrag nicht zügig ratifiziert wird, wären die Konsequenzen verheerend – das „schlimmstmögliche Ergebnis seit dem Zweiten Weltkrieg“, meinte gar Ex-Senator Chuck Hagel. Denn es würde die internationale Führungsrolle der USA beschädigen und damit die Möglichkeiten für globale Problemlösung empfindlich beeinträchtigen. Allein die Führung in Teheran könnte einen solchen Fehlstart begrüßen: Mit Obama, so könnte sie argumentieren, seien etwaige Vertragslösungen ohnehin nicht zu realisieren.

Die Ratifikation ist in der Tat, wie Obama erklärt hat, eine Entscheidung großer Tragweite für die nationale Sicherheit der USA und, so ist hinzuzufügen, auch für Europa. Schließlich wäre damit auch der Neubeginn in den amerikanisch-russischen Beziehungen gefährdet. In Moskau könnten sich amerikaskeptische Positionen zugunsten einer Fortsetzung des lukrativen Irangeschäftes durchsetzen. Damit wäre dann auch die amerikanische Nahostpolitik nachhaltig beschädigt.

Der Autor ist ist Senior Fellow bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.

Michael Paul

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