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POSITIONEN: Ungebunden ist nicht unsozial

Wer freie Schulen fördert, stärkt das elterliche Erziehungsinteresse. Von Klaus Mertes

Wer sich entscheidet, sein Kind in Berlin an einer „freien“, das heißt staatlich anerkannten, aber nicht staatlich getragenen Schule anzumelden, der begibt sich in einen Konflikt. Die freien Schulen, insbesondere auch die kirchlichen Schulen, freuen sich zwar über das Vertrauen der Eltern, das in den ständig steigenden Anmeldungszahlen zum Ausdruck kommt – zu Beginn dieses Schuljahres wurden elf neue allgemeinbildende Schulen genehmigt. Aber genau da wird auch ein Konflikt deutlich, der die bildungspolitische Szene immer noch durchzieht.

Die Eltern an freien Schulen haben sich nach den Sonderkürzungen des rot-roten-Senates zusammen mit den Schulträgern in Berlin politisch organisiert. Dies ist ein erfreulicher Zuwachs an zivilgesellschaftlicher Aktivität für die Stadt. Der „Tag der freien Schulen“, der an diesem Sonntag stattfindet, bündelt die diversen Aktivitäten. Es sind nicht nur die Schulträger, die von den schwierigen politischen Rahmenbedingungen für die kirchlichen und anderen freien Schulen betroffen sind, sondern auch die Eltern. Gerade die Eltern hätten im Übrigen als Urtyp zivilgesellschaftlichen Engagements zu gelten.

Während Eltern aus der Perspektive der Erziehungsberechtigten nach geeigneten Schulen für ihre Kinder Ausschau halten und Wahlmöglichkeiten für die unterschiedlichen Begabungen anmahnen, betrachten insbesondere die Regierungsparteien in Berlin Schule als Ort, an dem Gesellschaftspolitik gemacht wird. Schüler (und Eltern) an freien Schulen gelten in dieser Perspektive oft als Flüchtige, die sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung entziehen. Das Motto lautet: „Wenn wir alle begabten Schüler an freie Schulen gehen lassen, dann blieben die gesellschaftlichen Problemgruppen bei den staatlichen Schulen allein zurück.“

Das ist klassisch technokratisch und von oben gedacht. Die Argumentationskette verläuft so: Es gibt eine feste Menge von sozial unproblematischen, begabten Schülern, und es gibt eine feste Menge von sozial problematischen, weniger begabten Schülern; diese Mengen müssen richtig gemischt werden; die freien Schulen indes unterlaufen diesen Prozess, weil sie die richtige Mischung durch freie Wahl der Eltern stören. Aus dieser Sicht folgt, dass in freien Schulen soziale Eliten gebildet werden, die sich absondern, um eine problemfreie Sonderwelt aufbauen – was mit „Elite“ in einem positiven Sinn in der Tat nicht viel zu tun hätte.

Das alles hat wenig mit den Realitäten an den freien Schulen zu tun. Auch die Rückschlüsse, die man in einem solchen Weltbild auf die Realität in den staatlichen Schulen ziehen müsste, stimmen nicht. Aber es ist schwer, solche Vorurteile aus der Welt zu schaffen. Im Sinne einer zivilgesellschaftlichen Perspektive müsste genau umgekehrt gedacht werden: Je mehr Eltern ernst genommen werden in ihren Lern- und Erziehungsinteressen für ihre Kinder, desto mehr lern- und erziehungsinteressierte Eltern gibt es; und je mehr Institutionen und Vereinigungen ernst genommen werden in ihrer Bereitschaft, einen Bildungsauftrag zu realisieren, desto mehr wird Erziehung und Bildung wieder ein gesellschaftliches Thema und nicht nur auf den Staat abgeschoben. Und auch dies ist klar: Nicht jeder freie Schulträger bürgt allein schon deswegen für Qualität und zivilgesellschaftliches Selbstverständnis, weil er sich „frei“ nennt. Dafür gibt es ja sinnvollerweise eine staatliche Schulaufsicht.

Freie Schulen wollen sich im Übrigen nicht dadurch profilieren, dass sie die staatlichen Schulen schlechtreden. Es gibt engagierte und gleichgültige Eltern an allen Schultypen, und es gibt gute und weniger gute Lehrer an allen Schultypen. Es wäre sicherlich ein Gewinn für alle Beteiligten, insbesondere für die Schüler, wenn es endlich gelänge, die alten ideologischen Gräben zu überwinden und die Eltern als zivilgesellschaftliche Akteure im Bildungsbereich neu zu entdecken.

Der Autor ist Rektor des katholischen Canisius-Kollegs in Berlin.

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