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Prominente: Britney Spears vor Lévi-Strauss

Britney Spears ist eine jener dürftigen Mythen, die sich in unseren Flachbildschirmen spiegeln. Doch leider ist sie einer profilierten deutschen Tageszeitung offenbar wichtiger als Claude-Lévi-Strauss, dem hundertjährigen Anthropologen.

Das hatte ich mir geschworen: Niemals würde ich wie diese Menschenfeinde werden, die ihr Leben mit der Kritik an ihrer Epoche und ihren Zeit genossen verbringen. Streng hüten sie den Gral des Bildungsbürgertums, mit senkrechtem Zeigefinger sagen sie die Apokalypse des Denkens, den Untergang des Abendlandes voraus. Sie verurteilen den Verfall der Sitten, die fortschreitende Erosion der Werte, die Dürre des Zeitgeists. Choleriker sind sie, Verbitterte, Kulturpessimisten, Muffel, Brumm bären, Querulanten aus Prinzip, Spaßbremsen, ewig Unzufriedene, Schwarzseher, Deprimierte, die überall ihre düsteren Gedanken und ihre schlechte Laune säen. Begegnet man zufällig einem dieser trübsinnigen Herren, so sollte man schnell die Straßenseite wechseln. Man muss sie unbedingt mit ihren dunklen Gedanken und ihrer Nostalgie allein lassen. Das Leben ist zu kurz, um es in ihrer tristen Gesellschaft zu vergeuden. Nein, nein, dreimal NEIN!!! Niemals!!!

Bis letzte Woche. Bis ich die Zeitung aufschlug und plötzlich mit der absurden Frage konfrontiert war: Welche der beiden Berühmtheiten ist wichtiger? Britney Spears oder Claude Lévi-Strauss? Eine kleine 26-jährige Nervensäge oder ein weiser Hundertjähriger? Ein mensch liches Wrack oder einer der größten Denker des 20. Jahrhunderts? Ein Starlet mit rasiertem Schädel und gepierctem Bauchnabel oder ein Ethnologe mit Hornbrille und Leinenhose, wie man ihn auf seinen Jugendfotos bei den brasilianischen Indianern sieht?

Wie jeder, der halbwegs bei Trost ist, hätte ich natürlich Claude Lévi-Strauss den Vorzug gegeben. Aber die „Süddeutsche Zeitung“ hat sich anders entschieden. Aufmacher im Feuilleton: Britney Spears und ihr neues Album. Auf der Rückseite und in der Meldungshierarchie an zweiter Stelle: Claude Lévi-Strauss und sein 100. Geburtstag. Und die „Süddeutsche“ ist schließlich nicht die Bunte.

Ja, wenn Lévi-Strauss einer von diesen Intellektuellen in ihrem Elfenbeinturm wäre, ein selbst ernannter Lehrmeister, einer dieser eitlen alten Professoren ohne jeden Charme. Aber gerade am Tag davor hatte ich auf Arte eine lange Reportage über einen sehr lebendigen alten Herrn voller Leidenschaft gesehen. Ein sehr junger Mann von 100 Jahren. Und so viel jünger als Miss Spears.

Und genau deshalb bin ich so geworden, wie ich nie sein wollte: Ich schimpfe, ich ächze, ich empöre mich, ich sage die Apokalypse des Denkens, den Untergang des Abendlandes voraus. Britney Spears ist berühmt wegen ihrer Skandale, ihrer neurotischen Affären, ihrer Alkoholexzesse. Britney Spears ist berühmt wegen nichts … und sie ist nicht die Einzige, die die glitzernden Stämme der Promis bevölkert. Auch Paris Hilton gehört dazu, Pete Doherty, Amy Winehouse, Viktoria Beckham und viele andere. So sehen die dürftigen Mythen aus, die sich in unseren Flachbildfernsehern spiegeln …

Laut einer Umfrage sieht eine verblüffend große Zahl von Jugendlichen Dieter Bohlen als idealen Vater an. „Heidi Klum ist mein Vorbild als Frau“, sagte mir neulich ein Teenie voller Bewunderung. „Sie ist schön, und sie bringt Beruf und Familie unter einen Hut.“ Dieter Bohlen, der Meisterdenker unserer Zeit. Heidi Klum, die Simone de Beauvoir der Moderne. Nein, ich würde nicht gern einen Abend mit Britney Spears verbringen. „Das ist keine Welt, die ich liebe“, erklärte Claude Lévi -Strauss vor einigen Jahren, als er sich mit der Welt beschäftigte, in der er sein Leben beenden wird. Traurige Tropen, in denen wir leben.

Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Thielicke. Von Pascale Hugues ist gerade das Buch „Marthe und Mathilde“ erschienen (Rowohlt), in dem sie das Leben ihrer Großmütter erzählt.

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