zum Hauptinhalt

Meinung: Rat an einen Freund

Wie die USA Vertrauen zurückgewinnen können Von Hans-Dietrich Genscher

POSITIONEN

Die Folterbilder aus dem Irak erschüttern Amerika nicht weniger als Europa. Die Reflexe der Empörung in den USA zeigen uns das Amerika, das im Laufe seiner Geschichte zum Hoffnungsträger für die Freiheitssehnsucht der Menschheit wurde. Das Amerika, das uns Deutschen nach der HitlerDiktatur die Freiheit brachte, ist auch das Amerika von heute. Diese Erfahrung wurde im Kalten Krieg befestigt durch das Eintreten der USA für die Freiheit West-Berlins, für die Freiheit Westeuropas und für die deutsche Einheit.

In diesen Tagen habe ich immer wieder an jenen 7. Mai 1945 zurückdenken müssen, an dem ich bei Tangermünde als Soldat der Armee Wenck im Alter von gerade 18 Jahren die Elbe von Ost nach West überschritt, um der Gefangennahme durch die Rote Armee zu entgehen. Meine Entscheidung für die amerikanische Gefangenschaft war eine der wichtigsten und richtigsten in meinem Leben und eine der leichtesten auch. Ich habe sie durch die Entwicklung seitdem immer wieder bestätigt gefunden.

Wie sollen die Freunde und Verbündeten der USA heute auf die Ereignisse im Irak reagieren? Was kann ihr Rat an den transatlantischen Freund sein? Der amerikanischen Ankündigung rückhaltloser Aufklärung und angemessener Bestrafung der Verantwortlichen kann nur zugestimmt werden. Die selbstgefällige Feststellung „Wir waren von Anfang an dagegen“ führt nicht weiter und auch nicht der Versuch anderer, das zunächst für den Krieg gezeigte Verständnis vergessen zu machen.

Was also kann Amerika tun? Es gilt, ein Denken zu überwinden, das die militärischen Lösungen nach vorn und die politischen nach hinten setzt. Und es geht darum, neues Vertrauen zu schaffen, etwa durch die Ratifizierung des von Präsident Clinton unterzeichneten Status für einen Internationalen Strafgerichtshof. Das hat präventive Wirkung, die weder durch Befehl noch durch Duldung von Vorgesetzten überwunden werden kann. Es wäre auch ein wichtiger Beitrag zum inneren Zusammenhalt der Nato, die in ihrem Selbstverständnis einen unterschiedlichen Rechtsstatus der Soldaten der verbündeten Streitkräfte nicht erlaubt. Ein anderer signifikanter Schritt könnte die Beendigung der Tätigkeit der Söldnerverbände im Irak sein, die sich außerhalb jeder Rechtsordnung fühlen. Das Recht kann man nicht „outsourcen“. Schließlich könnte die Einbeziehung des Lagers in Guantanamo in das Rechtssystem der Vereinigten Staaten mit allen rechtsstaatlichen Garantien ein wichtiger Schritt zur Vertrauensbildung werden.

Es ist wohlbekannt, dass Saddam Hussein in der arabischen Welt kaum jemand eine Träne nachweint. Aber die Würde der arabischen Nation ist ein gemeinsames Gut aller Araber, und nicht nur der Araber. Artikel 1 unseres Grundgesetzes spricht von der Würde des Menschen, das heißt aller Menschen. Es muss das gemeinsame Interesse von Europäern und Amerikanern sein, das Vertrauen der arabischen Völker in die westliche Politik zu gewinnen. Hier kann die Nachbarregion Europa wertvolle Dienste leisten.

Wir Deutsche haben immer wieder erfahren, dass die arabischen Staaten unsere von historischer Verantwortung bestimmte Haltung zu Existenzrecht und Sicherheit Israels respektiert haben und nicht als Hindernis für gute Beziehungen betrachten. Gemeinsam sollten Europäer und Amerikaner die richtigen Prioritäten für die Herausforderungen im Nahen und Mittleren Osten wiederherstellen. Dazu gehört die Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts auf der Grundlage der so genannten Road Map. Das würde auch den zerstörerischen Kräften in der islamischen Öffentlichkeit den Boden entziehen, die zum heiligen Krieg aufrufen und sich dabei die Verbitterung über die Ereignisse im Irak zu Nutze machen.

Frieden und Stabilität in unserer Nachbarregion zu schaffen, ist jetzt dringender denn je. Auch dazu brauchen die Europäer die Amerikaner, aber genauso brauchen die Amerikaner die Europäer. Und beide brauchen die Mitwirkung der arabischen Staaten.

Der Autor war von 1974 bis 1992 Bundesaußenminister. Foto: Mike Wolff

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false