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Meinung: Schütze meine Tabus und breche die der anderen - Im Streit über die Karikaturen wird viel geheuchelt

Das ist schon eine merkwürdige Koalition, die sich da im Freiheitskampf zusammengefunden hat. Eine deutsche Zeitung, die keine antiisraelische Karikatur drucken würde und auch antiamerikanischen Tönen keinen Platz einräumt, verteidigt als eine Pflicht ihr Recht, die geschmacklosen Karikaturen über Allah und seinen Propheten Mohammed nachzudrucken.

Das ist schon eine merkwürdige Koalition, die sich da im Freiheitskampf zusammengefunden hat. Eine deutsche Zeitung, die keine antiisraelische Karikatur drucken würde und auch antiamerikanischen Tönen keinen Platz einräumt, verteidigt als eine Pflicht ihr Recht, die geschmacklosen Karikaturen über Allah und seinen Propheten Mohammed nachzudrucken. Und ausgerechnet ein grüner Politiker, der nichts dabei findet, einem Katholiken seines Glaubens wegen die Ernennung zum EU-Kommissar zu verweigern, rüffelt das Springerblatt für seine Entscheidung. Und natürlich schlägt sich die deutsche Oberfeministin, die gern die Menschenrechte bemüht, um ihre Vorstellungen von Emanzipation durchzusetzen, auf die Seite der angeblich gefährdeten Pressefreiheit. Sollten gläubige Muslime diesen Streit verfolgen, könnten sie uns nur zurufen: Ihr Heuchler! Denn das Freiheitsverständnis, das sich hier ausdrückt, ist ein partielles.

Wenn diejenigen, die sonst nichts dabei finden, dass „ein amerikanischer Künstler ein Kruzifix in Urin einlegt oder die Jungfrau Maria mit Elefantendung bekleistert wird“ – wie es der Chefredakteur der „Welt“ beschreibt –, Respekt vor den Glaubensvorstellungen des Islams einfordern, ist das so überzeugend wie das Freiheitspathos derjenigen, die schnell mit Antisemitismusvorwürfen zur Hand sind, wenn von Linken wie Rechten die israelische Politik als friedens- und freiheitsgefährdend charakterisiert wird.

Fast alle, die sich am neuen Kulturkampf beteiligen, werden sofort ungemütlich, wenn ihre Tabus verletzt werden, seien es nun die Menschenrechte, der Holocaust oder die christliche Botschaft. Dass dabei gerade Letztere am wenigsten tabuisiert wird, hat viel mit der angeblichen Aufklärung zu tun, die frommen Muslime am Westen besonders unangenehm aufstößt. Denn längst sind bei uns Homosexuelle, Roma oder Farbige besser von der politischen Korrektheit geschützt, als es die geistigen und kulturellen Grundlagen des christlichen Abendlandes sind. Deswegen müssen sich die Freiheitshüter schon entscheiden: entweder Karikaturen über Schwarze, Juden, Emanzen, den Papst und den Propheten oder Respekt vor den Glaubensüberzeugungen, Wertvorstellungen und Tabus aller, die mit uns leben, da Freiheit nun einmal nicht teilbar ist.

Von Voltaire stammt das schöne Wort, dass er die Meinung des anderen zutiefst ablehne und hasse, sich aber immer dafür einsetzen werde, dass dieser sie äußern dürfe. Manche unserer Freiheitshüter verhalten sich genau umgekehrt: Sie hassen und verachten zwar die Tabus der anderen, setzen sich aber leidenschaftlich nur dafür ein, allein die eigenen respektiert und geschützt zu sehen. Toleranz oder gar Verständnis für den anderen entsteht so nicht.

Und was die angebliche Gefährdung der Freiheit angeht, die sich daraus ergeben soll, dass wir – freiwillig – die Glaubensvorstellungen anderer achten, so hat der große Konservative und romantische Bewunderer der indischen Religionen und Bräuche, Edmund Burke, vor über 200 Jahren schon die passende Antwort gegeben: „Alle Regierungen, ja alle menschlichen Freuden und Genüsse, jede Tugend und jede kluge Handlung ist auf einen Kompromiss, auf eine Balance gegründet. Wir wägen Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten ab, wir nehmen und geben, wir nehmen einige Rechte nicht in Anspruch, damit wir uns anderer erfreuen können, und wir wollen lieber glückliche Bürger sein als spitzfindige Disputanten.“

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