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Meinung: Schulden in der Not

Rot-Grün will den Stabilitätspakt dehnen – Krieg hin oder her

Von Antje Sirleschtov

Was haben Wasser und Benzin gemeinsam? Rein physikalisch gesehen: nichts. In politischen Kategorien betrachtet jedoch eine Menge. Denn die Menschen in Deutschland verschwenden auf beides, Wasser und Benzin, kaum einen Gedanken, solange es ausreichend und zum richtigen Preis verfügbar ist. Doch wehe, es kommt mal anders. Etwa, wenn Wasser zur Bedrohung wird, weil es unkontrolliert fließt und Haus und Hof bedroht. Oder wenn ein Krieg im Irak immer näher rückt und man an der Tankstelle steht und der Benzinpreis schon weit vor dem ersten Raketenabschuss so hoch ist, dass den Autofahrern die Galle überläuft. Immer dann wird auf einmal an jeder Ecke über Wasser und Benzin gesprochen. Dann werden beide zu Trägern eines Notstandsszenarios. Und spätestens dann erschallt ein lauter Hilferuf an die Politik.

Man mag dieser Tage über die rot-grüne Bundesregierung sagen, was man will. Eines hat sie offenbar noch nicht verloren – ihr Gehör für diesen Ruf. Und ihr Gespür dafür, wie man darauf volksnah reagiert. Ganz ähnlich wie im vergangenen Sommer, als das Wasser in die Täler schoss, beruhigen der Kanzler und sein Finanzminister die Menschen auch jetzt wieder, da der Benzinpreis in die Höhe geschnellt ist. Sie erkennen in beiden Entwicklungen „außergewöhnliche Ereignisse“ und versprechen die Unterstützung aus dem Staatshaushalt. Konkret soll das heißen, dass im Falle eines Angriffes auf Saddam Hussein der Stabilitätspakt zur Nebensache wird. Ganz so, wie es seinerzeit im Zeichen der Flut geschehen ist. „Flexibel auslegen“, sagt der Kanzler, werde man den europäischen Vertrag über die Verschuldung der Haushalte. Und „Gespräche über gemeinsames europäisches Handeln zur Einhaltung des Paktes“ werde er führen, fügt Hans Eichel an. Im Grunde sagen beide: Gibt es Krieg, wird der öffentliche Geldhahn aufgedreht, werden neue Schulden gemacht, wird die Konsolidierung der Staatsetats in Europa auf irgendwann nach 2006 verschoben.

Wären es nicht ausgerechnet der Kanzler und sein Finanzminister, die selbiges ankündigen, man könnte sowohl der Notstandsanalyse als auch ihren Gegenmitteln wenig entgegenhalten. Denn die deutsche Wirtschaft befindet sich in einem tiefen und beunruhigend lang anhaltenden Konjunkturtal. Ein weiterer ökonomischer Schock könnte schlimme Auswirkungen haben. Gerade dem Staat, diesem riesigen Arbeit- und Auftraggeber, kommt daher die Aufgabe verantwortungsvoller Finanzpolitik zu. Statt zu sparen gegen den Trend, muss er Sorge dafür tragen, dass die Wirtschaft nicht vollends in die Rezession abrutscht. Egal, ob es einen Maastricht-Vertrag gibt, der vorschreibt, dass man sich nur mit weniger als drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes neu verschulden darf. Einer Regierung, die so handelt, der müssen die Menschen, die Unternehmen und auch die Finanzmärkte allerdings vertrauen können, dass sie neue Kredite allein zur Abwehr von solch außergewöhnlichen Ereignissen aufnimmt. Dass sie die langfristige Stabilität der Währung im Auge hat und Haushaltskonsolidierung als notwendige Voraussetzung für dauerhaftes Wirtschaftswachstum versteht.

Doch diesen Beweis haben weder Kanzler noch Finanzminister bisher geliefert. Wohl haben sie uns ihrer Treue zu Maastricht versichert und erläutert, dass die Haushaltssanierung und die Reform der Sozialsysteme zwingende Voraussetzungen für den Erhalt unseres Wohlstandes sind. Doch warum sollten wir glauben, dass das alles mehr als Fensterreden sind?

Statt mutiger Reforminitiativen trudeln Arbeitsmarkt, Sozialsysteme und öffentliche Haushalte zwischen wirren Ideen, undurchführbaren Plänen und Gesetzesinitiativen hin und her, die nie in Kraft treten werden. Und jeden Tag muss man damit rechnen, durch neue Steuererhöhungen aufgeschreckt zu werden. Nein, das letzte außergewöhnliche Ereignis hat dazu geführt, dass Bund, Länder und Gemeinden rund 20 Milliarden Euro mehr Schulden gemacht haben als geplant. Und bis heute ist nicht zu erkennen, wie das Land von diesem Defizit je wieder herunterkommen soll. Mal sehen, wie viel Geld uns das diesmal kostet.

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