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Meinung: Schulter an Schulter

Ein Jahr nach der Flut: Solidarität wird staatlich geprüft

Es waren die Tage nach dem 10. August, die zum Symbol gerannen. Es war diese Welle der Solidarität, die über Deutschland kam. Weite Teile Sachsens waren überflutet, auch andernorts kam das Wasser mit zerstörerischer Wucht – und die Menschen in den Bundesländern wurden, dem Ereignis angemessen, ein Volk. In weiten Teilen.

Das hat Folgen bis heute. Einmal, weil Aufbau und Umbau zu besichtigen sind. Auch politisch hat die große Flut Auswirkungen. Sachsens neuer Ministerpräsident Georg Milbradt zeigte sich überall und kam dabei nicht nur seinen Wählern näher. Brigitte Zypries, die damals als Innen-Staatsekretärin den Krisenstab leitete, ist heute Bundesministerin; was auch mit dieser Leistung zusammenhängt. Und Gerhard Schröder: Am Tag der ersten Überflutung erkannte er das Thema, machte es zu seinem – und zeigte sich als entschlossener Macher. Damit half er den Verunsicherten und verhalf sich selbst zur Wiederwahl.

Nun werden sie durchs Land reisen, Milbradt, Zypries, Schröder, Wolfgang Böhmer, der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Lothar Bisky, der PDS-Chef, der in Brandenburg Sand schippte. Sie wollen sich einen Überblick verschaffen – und sollten es dabei belassen. Wer sich bei dieser Gelegenheit nur inszenieren will, der wird verlieren, was er vor einem Jahr gewann – Vertrauen. Denn es war schon eine handfeste Zeit, in der nicht ewig lamentiert und ausufernd diskutiert wurde. Das Miteinander wurde staatlich geprüft, gewissermaßen. Insofern ist die Lehre daraus bis heute hochpolitisch: Keiner muss sich hilflos den Gewalten ausgeliefert fühlen.

Politik zum Anfassen – das war auch der Einsatz der Bundeswehr. Sie hat sich als das präsentiert, was sich ihre Minister immer erhofft haben: als die Armee der „Staatsbürger in Uniform“. Dieses Schulter-an-Schulter-Stehen, militärisch diszipliniert, wurde als Akt der Zivilität empfunden. Das wirkt nach: Politik tut sich weniger schwer als vorher, die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass die Bundeswehr mit allen ihren soldatischen Tugenden auch manchem anderen hilfsbedürftigem Land eingesetzt werden sollte.

Aufbau und Umbau – im Blick auf das Erreichte lässt sich festhalten, dass es nur zwei Möglichkeiten gab: erhöhtes Tempo oder Nichtstun. Im Land war klar, was in welcher Geschwindigkeit getan werden musste. Es ist nicht zu weit hergeholt, das auf die gegenwärtige Lage zu beziehen. Zum Ersten: Nichtstun kommt in dieser Lage nicht infrage, denn wer nichts tut, wird das verlieren, was er doch bewahren möchte. Zum Zweiten: Wer nicht mittun will, wird in den Augen der anderen den Anspruch auf Solidarität verwirken. Und drittens: Wer nicht Solidarität üben will, läuft Gefahr, dafür zu zahlen.

Das alles zeigen auch die aktuellen Diskussionen. Inzwischen geht es darum, bei möglichst Vielen die Einsicht zu fördern, wie viel es hilft, wenn sie mit Hand anlegen. Wenn sie Reformen mittragen. Da klingt ein altes Motto mit, eines aus Zeiten des Aufbruchs im Westen der Republik: Wer morgen sicher leben will, muss heute für Reformen kämpfen.

Ein Jahr nach der Flut kommen sie zurück, die Bilder, die Erinnerungen. Ein Begriff kann besichtigt werden: Solidarität. Und, nicht zu vergessen, ihr Preis. Das Miteinander wird wieder staatlich geprüft.

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