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Meinung: Schutzlose Gefühle

Jesus und Moses sitzen im Cafe und unterhalten sich. Mittendrin hält Jesus inne und fragt: „Sag mal, Moses, wo ist eigentlich Mohammed?

Jesus und Moses sitzen im Cafe und unterhalten sich. Mittendrin hält Jesus inne und fragt: „Sag mal, Moses, wo ist eigentlich Mohammed?" Moses schaut sich um, hebt die rechte Hand hoch und ruft: „Mohammed, noch zwei Kaffee!“ – Man muss diesen Witz erzählen können, ohne hinterher um sein Leben fürchten zu müssen. Man muss über einen solchen Witz lachen können, ohne der Gotteslästerung beschuldigt zu werden. Man muss sich über Christen, Juden, Muslime und Angehörige anderer Konfessionen lustig machen dürfen, auch auf die Gefahr hin, ihre religiösen Gefühle zu verletzen. Denn was für den einen der Glaube ist, das ist für den anderen Aberglaube, Humbug, Hokuspokus. In einer säkularisierten Gesellschaft, in der Religion Privatsache ist, können Gefühle nicht geschützt werden, dann hätten auch Atheisten, Agnostiker und Ungläubige das garantierte Recht, sich immerzu beleidigt, gekränkt, verletzt zu fühlen: zum Beispiel wenn irgendwo Minderjährige gehängt, untreue Ehefrauen gesteinigt und Homosexuelle ausgepeitscht werden – alles im Namen des Allmächtigen, gepriesen werde sein Name! Wenn man den Karikaturen, die in „Jyllands-Posten“ erschienen sind und in der muslimischen Welt einen Sturm der Empörung ausgelöst haben, etwas vorwerfen kann, dann ist es ihre aggressive Harmlosigkeit.

Man muss die schwer beleidigten Muslime, die nun dänische Fahnen verbrennen und keinen dänischen Käse mehr kaufen, beneiden: Sie haben offenbar keine anderen Sorgen – keine Arbeitslosigkeit, keine Überbevölkerung, keine Demokratiedefizite. Deswegen können sich Millionen von Muslimen erlauben, jeden Morgen mit dem Gedanken aufzuwachen: Ist unser Prophet heute geschmäht worden? Um dann, noch vor dem Morgengebet, zum nächsten Kiosk zu eilen, um die aktuelle Ausgabe von „Jyllands-Posten“ zu kaufen. Vor genau 111 Jahren, 1895, wurde der bayerische Dichter Oskar Panizza wegen „Vergehen gegen die Religion“ zu einem Jahr Haft verurteilt. Er hatte eine bissige Satire („Das Liebeskonzil“) auf den Vatikan geschrieben. Vor ein paar Jahren fühlten sich orthodoxe Juden in Israel beleidigt, weil die Firma Tnuva kleine Dinosaurier auf ihre Joghurtbecher gedruckt und dazu geschrieben hatte, diese Tiere hätten vor Millionen von Jahren gelebt. Nach jüdischem Glauben wurde die Welt vor genau 5766 Jahren erschaffen, alles Übrige ist Häresie. Und nun sind die Muslime empört. Sie dürfen es sein. Aber sie dürfen niemanden dazu zwingen, ihre Empörung zu teilen.

Der Autor ist Reporter beim Spiegel.

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