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Meinung: Sie haben es mit zu verantworten

Karstadt, Opel, Holzmann: Die Arbeitnehmervertreter saßen in den Aufsichtsräten

Utz Claassen bürstet gern gegen den Strich. Der Chef des viertgrößten deutschen Stromversorgers Energie Baden- Württemberg meint, dass ein „kooperativer Führungsstil auch eine Generationsfrage ist“. Der Seitenhieb gegen seine Vorstandskollegen kommt an, zumal der 41-Jährige seine Verteidigungsrede für die deutsche Mitbestimmung vor Gewerkschaftern in Berlin hielt. Doch im Lager der Manager steht Claassen damit weitgehend allein.

Die Arbeitnehmerbeteiligung in den Aufsichtsräten ist schwer in die Kritik geraten. Zu Recht. Weder Betriebsräte noch Gewerkschafter in den Gremien haben verhindert, dass die Traditionsmarke Opel ein Sanierungsfall wurde. Auch die existenzbedrohliche Krise beim Handelskonzern Karstadt ist nicht mit vereinten Kräften der Arbeitnehmerschaft abgewendet worden. Karstadt ist ein Inbegriff des deutschen Korporatismus zwischen Kapital und Arbeit – und für Missmanagement.

Weitere Beispiele für verpasste Chancen finden sich zuhauf. Haben etwa die Betriebsräte bei Philipp Holzmann oder bei Babcock- Borsig rechtzeitig Alarm geschlagen? Da war keine Kritik zu hören – bis es zu spät war. Die beiden Konzerne sind pleite gegangen und wurden aufgelöst.

Diese Erfahrungen sprechen dagegen, den Vertretern der Arbeitnehmer die Hälfte der Stimmen in den Aufsichtsräten zu überlassen. So ist es seit 1976 Gesetz in Deutschland. Der scheidende BDI-Präsident Michael Rogowski will daraus radikale Konsequenzen ziehen: Die paritätische Mitbestimmung gehöre abgeschafft. Mehr noch: Die Mitbestimmung „ist ein Irrtum der Geschichte“.

Die Globalisierung der Wirtschaft spielt Rogowski die Argumente in die Hände. Kein anderes Land auf der Welt gewährt den Arbeitern und Angestellten so viele Mitwirkungsrechte im Betrieb wie Deutschland. Nicht nur in den Aufsichtsräten, wo es vor allem um die großen strategischen Entscheidungen geht. Auch die betriebliche Mitbestimmung, bei der es um die kleinen Dinge des täglichen Arbeitslebens geht, ist gesetzlich abgesichert. Das schrecke ausländische Investoren ab, wettern die Kritiker. Und vernichte langfristig sogar Arbeitsplätze. Zumal die Harmonisierung des Rechts in der Europäischen Union ohnehin wenig Rücksicht auf deutsche Befindlichkeiten nehmen wird.

Nach den Vorstellungen aus Brüssel bleibt allenfalls eine Drittel-Beteiligung der Arbeitnehmer. Und zudem dürften Gewerkschafter gar nicht in Aufsichtsräten sitzen, weil ihre Interessen als Tarifpartner mit denen als Unternehmenskontrolleure kollidieren. Ausgerechnet Verdi- Chef Frank Bsirske muss dafür als Kronzeuge herhalten. Der geriet tief in die Bredouille, weil er als Gewerkschafter zum Arbeitskampf gegen die Lufthansa aufrief und als Lufthansa-Aufsichtsrat die schwerwiegenden wirtschaftlichen Folgen dieses Streiks zu vertreten hatte.

Kurzum: Mit der Mitbestimmung kann es so nicht weitergehen. Das heißt nicht, sie abzuschaffen, sondern sie zu renovieren. Wie genau und was genau, darüber muss man in Ruhe reden.

Aber nicht jetzt. Denn das Drängen der Bosse, dieses (bisher) zentrale Element des Modells Deutschland aufzugeben, kommt zum ungünstigsten Zeitpunkt. Wo der Kostendruck fast unerträglich und die drohende Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland schon zur Normalität geworden ist. Wo selbst kleinste Strategiefehler in der Modell- oder Standortpolitik eines Unternehmens katastrophale Auswirkungen haben. Ausgerechnet jetzt sollen Arbeitnehmer so provoziert und aus dem Entscheidungsprozess gedrängt werden?

Das wäre nicht klug, weil es die Eskalation herausfordern würde. Das Beispiel des gerade noch abgewendeten Opel-Streiks in Bochum ist Beleg genug dafür. Die Forderung zeigt aber umso mehr, dass die Manager-Elite das radikale Ausmaß der nötigen gesellschaftlichen Veränderungen selbst noch nicht erfasst hat. Die Mitbestimmung hilft, den Sprengsatz zu entschärfen. Was nicht heißt, dass die Mitbestimmung nicht reformiert werden muss. Doch dieses Ziel kommt besser später.

Dieter Fockenbrock

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