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Meinung: Sie reiben sich wund

Von Stephan-Andreas Casdorff

Gesundheit, Krippenplätze, Pflege, Bildung, Arbeitsmarkt, Verteidigung, Entwicklung, Sicherheit – das sind nicht nur, fein verteilt, die Arbeitsschwerpunkte der großen Koalition, es sind auch nicht nur die Ausgabenschwergewichte, sondern inzwischen vor allem Streitgründe. Wie lange kann das gut gehen?

Vom Freidemokraten Walter Scheel, einstmals Außenminister der ersten sozialliberalen Bundesregierung, stammt der Begriff des Vorrats an Gemeinsamkeiten in einer Koalition. Der auch einmal erschöpft sein kann. Nun gäbe es zwar Gemeinsamkeiten genug, um von einem ausreichenden Vorrat zu sprechen; die Partner, Union und SPD, sind sich ähnlicher in der politischen Grundanlage, als ihre Lautsprecher gegenwärtig vermuten lassen. Wahrscheinlich ist das in Teilen der je eigenen Profilierung vor der Bremenwahl geschuldet. Aber es ist auch schon so, dass sich die Koalitionäre bei anhaltend rauer Behandlung aneinander wundreiben.

Wie jetzt wieder Peter Struck knurrt, vor allem worüber – das ist symptomatisch: Er greift zum Beispiel Innenminister Wolfgang Schäuble für etwas an, das seine eigenen Leute auch permanent tun, nämlich mit allerlei Forderungen an die Öffentlichkeit zu gehen, dazu mit allerlei Beleidigungen, ohne die zurückzunehmen. Wieder gegen Schäuble, den die SPD ganz klar mittelfristig als Kündigungsgrund für die Koalition aufzubauen versucht (wahrscheinlich wegen erwiesener Konservativität à la Schily). Und vor dem Hintergrund wirft Struck der Union vor, dass die nicht partnerschaftlich sei! Nun ist er nicht irgendwer, sondern als Fraktionschef einer aus dem Machtdreieck an der SPD-Spitze mit Kurt Beck und Franz Müntefering.

Hinzu kommt allerdings von der anderen Seite, dass die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende ihre Truppe tatsächlich nicht so richtig führt, sondern in ihrem Sinne moderiert und durch Detailabfragen ermüdet. Das ging so lange gut, wie es kein Geld zu verteilen gab. Jetzt aber, da es in der Bundeskasse klingelt, heißt die Frage: Ausgeben oder behalten? Der Antwort kann keiner ausweichen. Beides zieht Konflikte nach sich. Ein Kompromiss, der alles je nach Gewicht irgendwie auszutarieren versucht, läge Angela Merkel nahe, nur bietet er dauerhaft keine Entlastung. Die Münze ist außerdem zu klein: Aus staatspolitischen Gründen muss die Kanzlerin auf ein Bündnis mit ihrem (sozialdemokratischen) Finanzminister achten, dem einzigen Minister mit Vetorecht. Wenn dessen Votum übergangen würde, dann … Merkel muss sich entscheiden: stärken oder stürzen. Auf Zeit zu setzen, geht nicht lange gut.

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