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WAHLKAMPF 2013: Sommerloch mit Sogwirkung

Was Steinbrück von der Killerschildkröte lernen kann.

Für Angela Merkel läuft alles nach Plan. Nur noch 39 Tage bis zur Bundestagswahl. Und die in allen Zeitungen zumindest in Worte gefasste „heiße Wahlkampfphase“ ist bisher alles, nur eben nicht heiß. Allenfalls kantinenwarm. Wenn überhaupt. Das dürfte ganz im Sinne der Kanzlerin sein, die souverän sämtliche Umfragen und Sympathieskalen anführt und eben davon profitiert, dass kein Thema mit Wahlkampfpotenzial aufs werkmüde Parkett der politischen Arena fällt. So bleibt es im politischen Berlin vermutlich noch bis in den September hinein zäh, still und sommerlich. Vorerst.

Auch weil die Konkurrenz weiterhin munter dilettiert: Allen voran der SPD gelingt es nicht, wahlkampfrelevante Themen auf den politischen Markt zu werfen. Die Bemühungen der Opposition werden ohne großes Zutun der Regierungsparteien zum Bumerang. Aus einer Angela-Merkel-kannkein-Europa-weil-sie-aus-demOsten-kommt-Choreografie wird kurzerhand eine Peer-Steinbrückversteht-die-Ostdeutschen-nichtRetourkutsche. Selbst die NSA-Affäre ist auf dem besten Weg, der SPD auf die Füße zu fallen. Kritik kommt auch immer wieder aus den eigenen Reihen: Zuletzt monierte Franz Müntefering den fehlenden Zuschnitt der SPD auf ihren Kanzlerkandidaten.

Derweil ist die Union weiterhin sichtlich bemüht, das Sommerloch in den Frühherbst zu tragen. Merkel macht’s möglich. Sie ist das personifizierte Sommerloch mit Sogwirkung. So wie jenes sprichwörtliche Loch für eine Meldung ohne Nachrichtenwert steht, saugt Merkel politische Kontroversen auf, absorbiert sie, hinterlässt ratlose Oppositionelle und ein furchtbar sympathisches Kanzlerlächeln. Eine Politik gleich einem unablässigen Sinuston, der dauernden Simulation von Tat und Aktion. Und gefälliger Träger der Kanzlerstrategie, der viel beschworenen asymmetrischen Demobilisierung, sind vor allem, wie sollte es anders sein, die Medien.

Wie Schnappi, die Killerschildkröte. Sie hat sich mittlerweile unter dem Namen „Lotti“ über die „Bild“ bis auf die Seite eins (!) von FAZ und Süddeutsche gebissen. Dort wird die Geschichte einer böswilligen Schildkröte im Oggenrieder Weiher im tiefsten Allgäu erzählt. Die Medien schnappen nach allem, was auch nur im entferntesten mit Wahlkampf zu tun haben könnte.

Der Kanzlerin kann’s recht sein. Denn: Schnappi-Themen sind Merkel-Themen. Wahlkampf à la Merkel bedeutet die Abwesenheit von Nachricht und Inhalt. Viel zitiert dieser Tage ist ein Interview, das Angela Merkel mit der Zeitschrift „Neon“ führte: Der Leser erfährt, dass sich Angela sonntags an „Inspector Barnaby“ erfreut, mit ihrem iPad Musik hört, aber keine Fotos macht. Und das Unvernünftigste, das sie als junge Frau getan habe? „Zu viel Kirschwein getrunken.“

Die Kanzlerin so apolitisch wie noch nie. Ein Blick auf ihre neue Homepage bestätigt diese Fokussierung auf den „Menschen“ Merkel: Während als politisches Programm wenige Spiegelstriche genügen, ist allerhand persönliches, illustriert durch riesige Privat-Merkel-Bilder, über die Kanzlerin zu erfahren. Sie sei eine leidenschaftliche Gärtnerin, heißt es dort, ziehe ihr eigenes Gemüse und koche am liebsten Rouladen und Kartoffelsuppe. Ihr Mann beschwere sich selten. Nur auf dem Kuchen seien immer zu wenig Streusel.

Sätze, die diese Frau ein drittes Mal direkt ins Kanzleramt tragen. Bleibt zu fragen, wann uns Peer Steinbrück mit seinen Jugendsünden, Kirschwein- und Streuselkuchengeschichten behelligen wird. Oder er nimmt sich endlich der Themen an, die die Menschen wirklich umtreiben: Vielleicht führt ihn ja sein Graswurzelwahlkampf ins Allgäu. Dort könnte er vor dem Weiher posieren und Jagd auf die Killerkröte machen. (Vielleicht lernt er zuzuschnappen wie Lotti – im politischen Sinne natürlich.)

Schnappschildkröte Lotti befindet sich im Übrigen, nachdem die Stadt Irsee den Oggenrieder Weiher kurzerhand trocken legen ließ, auf der Flucht. 1000 Euro Belohnung hat der Bürgermeister von Irsee ausgelobt. Und es ist eine Frage der Zeit, wie lange Merkel das politische Berlin themenmäßig trocken halten kann, bis auch Steinbrück die Flucht ergreift.

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