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Sozialarbeit in Berlin: Wildwuchs im Trebergarten

Nach der Maserati-Affäre bei der Berliner Treberhilfe könnte man mit gelindem Sarkasmus sagen: Übersichtlich geht es nur noch dort zu, wo Leute ehrenamtlich etwas tun. Für den großen Rest gilt, dass viel geschieht, aber niemand auch nur einschätzen kann, wie effektiv Sozialarbeit ist.

Sozialarbeiter müssen phantasievoll sein. Es reicht nicht mehr, Ämter und Behörden für zuständig zu erklären, nach dem Motto: Der junge Ladendieb wird von der Polizei nach Hause gebracht, schämt sich, fängt sich von Papa eine Schelle und findet seinen Weg. Sozialarbeit heute ist die Therapie einer ebenso komplizierten wie individualistischen Gesellschaft. „Einrichtungen“ aller Art machen das, was früher Familienmitglieder taten (wenn sie es taten). Sozialarbeiter müssen heute nicht bloß zuhören, nett sein und überreden können, sie müssen das komplexe System öffentlicher Hilfsgelder und Beihilfen kennen – und sie müssen Erfinder sein. Ein Beispiel: Polizei und Jugendämter ärgern sich mit straffälligen Kindern herum, nennen sie „Schwellentäter“ – und schon bietet die Treberhilfe Berlin eine „soziale Task Force für offensive Pädagogik“, die den Ämtern und den Eltern hilft, Kinder mit krimineller Energie wieder einzufangen.

Es geht nicht darum, Sozialarbeiter vorzuführen als Leute, die nichts Besseres zu tun haben als auf Trends zu reagieren. Gut möglich, dass die Task Force eine wunderbare Arbeit macht, von der kaum jemand etwas mitbekommt – eben weil sie erfolgreich ist. Harald Ehlert, Ex- Chef der Treberhilfe und Ex-Benutzer eines Dienst-Maseratis, war offenbar ein erfolgreicher Erfinder sozialer Angebote – und nicht der einzige. Dass heute kriminellen Kindern genauso einzelfallgerecht geholfen werden kann wie alleinstehenden parkinsonkranken 85-Jährigen, ist auch Hilfsangebotserfindern wie Ehlert zu verdanken. Dass sich deren Arbeit lohnen muss, versteht sich auch von selbst.

Doch hat offenbar heute kein Politiker mehr im Blick, wer auf dem Markt der Helfer unterwegs ist. Das ist der eigentliche Skandal hinter der bizarren Maserati- Affäre. Sozialpolitik funktioniert so: Ein Missstand wird erkannt, ein Projekt zu dessen Abhilfe wird erfunden, die Politik beschließt, dieses zu finanzieren – und dann läuft es. Immer weiter. Wohl dem Staat und der Stadt, die sich diesen Umgang mit Problemen leisten können. Noch ein Beispiel: Vor zehn Jahren ist die Idee des „Quartiersmanagement“ nach Berlin importiert worden. Kleinräumig und unbürokratisch, „kiezorientiert“ sollen Wohngebiete stabilisiert werden. Wer sich da engagiert, wird gewiss nicht reich und verbringt manchen Abend mit dem „Management“ von Angelegenheiten, die nicht die seinen sind. 1999 gab es 15 Quartiere, die dem Land Berlin Extra-Geld wert waren. Heute sind es 38.

Je komplizierter die Gesellschaft, desto größer das Betätigungsfeld der Sozialarbeit. Nach der Maserati-Affäre könnte man mit gelindem Sarkasmus sagen: Übersichtlich geht es nur noch auf einem kleinen Teil des Feldes zu – dort, wo Leute ehrenamtlich etwas tun. Für den großen Rest gilt, dass viel geschieht, sicher auch viel Gutes, dass aber niemand auch nur einschätzen kann, wie effektiv Sozialarbeit ist. Damit die Politik sie bewerten könnte, müsste sie sagen können, was Sozialarbeit kostet.

In Berlin ist das nicht mehr möglich. Der Senat hat die Wohlfahrtsverbände beauftragt. Die beauftragen die Projekte. Damit alles noch unübersichtlicher wird, kommen die Zuwendungen aus verschiedenen Etats. Kein Abgeordneter hat vor der Maserati-Affäre den Verlust seiner Kontrollmöglichkeiten beklagt. Jetzt rufen die Ersten nach dem Rechnungshof. Es wird Zeit, dass sich jemand in der Politik einen finanziellen Überblick verschafft.

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