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Spätabtreibungen: Hilfe in der Not

Eine Welt bricht zusammen, wenn einer schwangeren Frau eröffnet wird, dass ihr Wunschkind nicht gesund ist. Ob man ihr in dieser Situation besser helfen kann als bisher, darum geht es bei der Debatte um die Spätabtreibung. Es muss hinzugefügt werden: Nur darum darf es gehen, wenn der Bundestag heute in erster Lesung darüber berät.

Geburt, Schwangerschaft, Abtreibung, die Sehnsucht nach Kindern, das sind Lebensthemen, die alle Frauen unvermeidlich beschäftigen. Sie können ihnen – anders als Männer – nicht aus dem Weg gehen. Frauen sind zuständig für die ungeborenen und geborenen Kinder – und im Zweifelsfall damit allein. Die Reproduktionswissenschaften haben dieser uralten Geschichte ein neues Kapitel hinzugefügt. Hauptsache gesund: Das ist nicht mehr der einfache Wunsch, den werdende Eltern haben dürfen, weil sie wissen und hinzunehmen bereit sind, dass es auch anders kommen kann. Es ist eine Möglichkeit geworden, es scheint machbar. Und wieder sind es die Frauen, die eine neue Last tragen müssen. Unbemerkt hat der technische Fortschritt ihnen eine zusätzliche Verantwortung zugewiesen – die für das gesunde Kind.

Es ist eine unvorstellbar schwierige Situation, sich für oder gegen ein Kind entscheiden zu müssen, das gewünscht war, das behindert ist, aber schon so entwickelt, dass es vielleicht ohne die Mutter lebensfähig sein könnte. Die Abtreibung selbst ist, anders als die bis zur 12. Schwangerschaftswoche, furchtbar. Und die Entscheidung muss getroffen werden in einer Gesellschaft, die den Machbarkeitswahn auf den Menschen weit ausgedehnt hat. Eltern behinderter Kinder kennen den schiefen Blick, der sagt, dass „solche“ Kinder heutzutage doch eigentlich niemand mehr haben müsste.

Dieser Schwangerschaftskonflikt lag nicht im Denk- und Gefühlshorizont jener Frauen, die den langen und zähen Kampf um das Abtreibungsrecht geführt haben. Und man braucht nur wenig Fantasie, um sich auszumalen, dass die Verantwortung für das gesunde sich bald zu der für das perfekte Kind auswächst. Die Entscheidung für eine Spätabtreibung ist in ihrer Härte neu: Die Wissenschaft, die einer Frau eine Krankheit oder Behinderung ihres Kindes mitteilt, hat ihr eben dieses Kind auf dem Ultraschall schon als eigenen kleinen Menschen gezeigt. Die Frage danach, ob bei den Spätabtreibungen gesetzliche Korrekturen nötig sind, kann deshalb nicht mit dem Verweis abgewehrt werden, es gehe nur um ein Einfallstor, um zum alten Paragrafen 218 zurückzukehren.

Die schwierige Entscheidung kann nur die betroffene Frau treffen – dabei muss es bleiben. Aber dass sie unter Schock und unter Druck getroffen werden muss, dabei darf es nicht bleiben. Dieser Leitschnur folgen die Gruppenanträge, die für eine gesetzliche Korrektur plädieren. Die Ärzte sollen in die Pflicht genommen werden, dass ihrer Diagnose eine eingehende medizinische und psychologische Beratung folgen kann. Einige Tage Abstand sollen zwischen Diagnose und Entscheidung liegen. Angesichts der herrschenden Praxis, die den Schwangerschaftsabbruch als nahezu zwingende Folge der Diagnose erscheinen lässt, sind solche Korrekturen geboten, ja, eigentlich nur das Mindeste, was Frauen in einem Konflikt dieser Tragweite garantiert werden muss.

Aber weil er diese Tragweite hat, darf es dem Gesetzgeber eben nur um Hilfe gehen. Sie ist elend gering, wenn eine Frau entscheiden muss, was niemand je entscheiden möchte.

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