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Meinung: „Spätestens jetzt …

… sollte niemand überrascht sein, dass ich etwas zu sagen habe.“ Sie tritt scheu aufs Podium.

… sollte niemand überrascht sein, dass ich etwas zu sagen habe.“

Sie tritt scheu aufs Podium. Applaus brandet auf. Verlegen kreuzt sie die Hände über der Brust. Im knallroten Kostüm geht sie zum Mikrofon, wartet, bis es im Saal ganz still ist, und sagt leise: „Ich liebe euch auch.“ Auf Englisch, Spanisch, Französisch, Italienisch, Portugiesisch begrüßt sie die Delegierten. Im „Fleet Center“ in Boston, wo der Parteitag der Demokraten stattfindet, redet am späten Dienstagabend eine beeindruckende Frau, Teresa Heinz Kerry, die First Lady in spe.

Um ihre erste Pointe zu verstehen, muss eine Vorgeschichte erzählt werden vom vergangenen Sonntag. Da war die 65-Jährige vom Reporter einer rechtslastigen Zeitung bedrängt worden. Irgendwann hatte sie dessen Nachfragen satt. „Steck’s dir sonstwohin“, herrschte sie ihn an. Von dem Ausraster gibt es ein Video. Es lief am Montag in allen TV-Sendern. Am Dienstag war es die Titelgeschichte vieler Zeitungen. Der Auftakt des Parteitags mit Bill Clinton rangierte auf Platz zwei. Umgehend wurde Teresa Heinz verteidigt. John Kerry, sagte, seine Frau spreche allein für sich, in „angemessenen Formulierungen“. Hillary Clinton lobte sie gar.

Sofort stand die alte Frage wieder im Raum: Ist Teresa Heinz eine Bereicherung oder eine Belastung für Kerrys Wahlkampf? Erschreckt sie mit ihrer Unabhängigkeit, oder zieht ihre Eigenart an? Als sie dann am Dienstag vor den Delegierten steht, entwaffnet sie ihre Gegner mit dem ersten Satz: „Spätestens jetzt sollte niemand überrascht davon sein, dass ich etwas zu sagen habe.“ Dazu lächelt sie – ein warmes, ansteckendes Lächeln.

Eigenwillig, offen, robust, intelligent, stark, direkt: Teresa Heinz sagt, was sie denkt. Taktische Rücksichtnahmen sind ihr fremd. Einen Teil ihres Charakters hat die Biografie geprägt: aufgewachsen in Mosambik, der Vater war portugiesischer Arzt, Studium erst in Südafrika, wo sie gegen die Apartheid demonstriert, anschließend besucht sie eine Dolmetscherschule in der Schweiz. Dort lernt sie ihren ersten Mann kennen, John Heinz. Sie wandert in die USA ein, heiratet, wird Staatsbürgerin, bekommt drei Söhne.

Heinz gehört das gleichnamige Ketchup-Imperium. Sein Vermögen wird auf über eine Milliarde Dollar geschätzt. 1976 wird er als Republikaner in den Senat gewählt. 1991 kommt er bei einem Flugzeugunglück ums Leben. Seine Frau erbt fast alles. Mit jährlich rund 80 Millionen Dollar unterstützt sie seitdem den Umweltschutz, Projekte zur Vorschulerziehung und die Kunst. Die gläubige Katholikin interessiert sich für Alternativmedizin und östliche Philosophie. Vier Jahre später heiratet sie John Kerry. Der bringt aus seiner ersten Ehe zwei Töchter mit in die Beziehung.

Diese Frau passt in kein Klischee. Vielen Männern ist ihr Selbstbewusstsein unheimlich. In gewisser Weise ist sie das Gegenteil von Laura Bush, der Ehefrau des amtierenden Präsidenten. Den Wahlkampf seines Herausforderers hat sie entscheidend geprägt. Seit September begleitet sie ihn bei seinen Auftritten. Und keiner kritisiert ihn offener als sie.

„Teresa ist meine Geheimwaffe“, sagt er. Die Manager seiner Kampagne freilich sehen in ihr auch ein wandelndes Risiko. Ihre Unberechenbarkeit treibt ihnen regelmäßig den Angstschweiß auf die Stirn. „Wir brauchen kein moralistisches Amerika, sondern eine moralische Nation, die wieder geachtet wird in der Welt“, sagte sie am Dienstag. Das war vom Manuskript abgelesen. Normalerweise spricht sie frei. Malte Lehming

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