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Meinung: SPD-Parteitag in Nürnberg: Macht ersetzt keine Träume

Wenn Gerhard Schröder heute in der Mittagszeit in die Nürnberger Frankenhalle einzieht, dann wird der SPD-Parteitag ihn feiern. Doch der berauschende Beifall wird nicht der Sachentscheidung, dem Mandat für den Einsatz der Bundeswehr im Krieg gegen den internationalen Terrorismus, gelten, nicht dem Kriegskanzler huldigen.

Wenn Gerhard Schröder heute in der Mittagszeit in die Nürnberger Frankenhalle einzieht, dann wird der SPD-Parteitag ihn feiern. Doch der berauschende Beifall wird nicht der Sachentscheidung, dem Mandat für den Einsatz der Bundeswehr im Krieg gegen den internationalen Terrorismus, gelten, nicht dem Kriegskanzler huldigen. Er wird auch nicht die strategische Meisterleistung feiern, mit der Schröder aus einer verqueren Schlachtordnung heraus seine Kanzlerhaut gerettet hat. Was der Parteikonvent bejubeln wird, ist die Rettung des rot-grünen Projekts.

Ja, das rot-grüne Projekt - es gibt es immer noch. Natürlich weiß ein jeder Sozialdemokrat, dass der Kanzler auch ganz anders könnte: mit den Schwarzen, mit den Gelben. Vielleicht will, womöglich muss er sich nach der Bundestagswahl im kommenden Jahr, die den meisten Genossen bereits als gewonnene Sache erscheint, sogar in eine dieser beiden Richtungen orientieren. Wer weiß. Besser aber wäre es, aus Sicht der Partei, wenn alles beim Alten bliebe: Denn in keiner anderen Konstellation lassen sich mehr sozialdemokratische Träume träumen, Hoffnungen leben und manchmal sogar auch Wünsche verwirklichen. Bislang ist Schröder aus anderen Gründen zum gleichen Schluss gekommen: Mit keinem anderen Regierungspartner lässt sich seine persönliche Machtstellung besser befestigen.

Zum Thema Online Spezial: Terror und die Folgen Schwerpunkt: Deutschland und der Krieg Fotostrecke: Krieg in Afghanistan Die Delegierten des SPD-Parteitags werden ihn also feiern. Aber werden sie auch wahrhaben wollen, dass gleich beide Bündnisse brüchig geworden sind? Die Regierungskoalition: Vielleicht übersteht sie auch noch die nächsten militärischen Anforderungen und Zumutungen, die auf Deutschland unbarmherzig zurollen. Doch nichts spricht dafür, dass es 2002 ein weiteres Mal für eine eigene Mehrheit reicht. Und damit ist auch der Bund zwischen Schröder und Partei stark gefährdet: Für den einen fiele nur ein prima handhabbarer Koalitionspartner weg, wo doch neue bereitstehen. Die SPD als Regierungspartei indes verlöre mehr: ihr gutes Gewissen bei der Mitwirkung an einer Politik des Kanzlers, die sie so eigentlich nicht will.

Ob Atomausstieg oder neue Außenpolitik: Solange die Grünen die an der Parteibasis der Sozialdemokratie vorherrschenden Zweifel in den Regierungsalltag eingebracht hatten, konnte sich Schröders Partei den Luxus leisten, das eigene Gewissen nicht allzu heftig in Anspruch zu nehmen und ihrem Kanzler treue Gefolgschaft zu leisten. Wenn mit den Grünen nach Lafontaine demnächst der zweite ausbalancierende Faktor verloren geht, wenn dann weit und breit keine Kraft mehr zu sehen ist, welche die an Schröders Regierungspragmatismus krankende Seele der Partei besänftigt, kommt die eigentliche Bewährungsprobe. So wie 1982 die eigentliche Vertrauensfrage für Helmut Schmidt nicht die im Bundestag gewonnene, sondern die kurz darauf im Zeichen der Nachrüstung stehende und verlorene beim Münchner Parteitag war. "Hoffentlich war der Erfolg am Freitag kein Pyrrhussieg", bangt einer der engsten Berater des Bundeskanzlers.

Gefahr erkannt, Gefahr gebannt? Eine Rede über den Tag hinaus will Schröder dem Parteitag geben. Gut so. Und für jede Menge Diskussionsstoff ist bei den Beratungen bis zum Donnerstag Zeit, von "Deutschlands Rolle in der Welt" über "Sicherheit im Wandel" bis hin zur Zwischenberatung über ein neues Grundsatzprogramm. Fein. Aber danach nimmt sie wohl wieder überhand, die grausame Realität mit ihren Zumutungen: den militärischen, den wirtschaftlichen. Und einem hyperpragmatischen Bundeskanzler, dem die Führung der SPD nie Herzenssache war. Der für die Seele der Partei wenig zu bieten hat. Der einstweilen noch, gewiss aber nicht auf ewig, von dem auch der Partei wohltuenden Gefühl der Macht getragen wird.

Kurz über die Bundestagswahl 2002 hinaus wird das vermutlich halten. Doch diese Partei verlangt immer noch nach Perspektiven, die sich auf mehr als Macht reimen. Die eilig hingeworfenen und rasch vergessenen Gedankenfetzen des "Schröder-Blair-Papiers" waren dies ebenso wenig wie die Spin-DoktorenKongresse über "Modernes Regieren". Jetzt, nach dem Sieg vom Freitag, bietet Nürnberg die einmalige Chance, einen neuen Anfang zu versuchen. Ob Schröder sie nutzt - das ist die spannende Frage.

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