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Staatsoberhaupt: Wozu brauchen wir einen Bundespräsidenten?

Er ist machtlos, seine Reden verhallen wirkungslos, er ist der Grüßaugust der parlamentarischen Demokratie. Dennoch: Gut, dass wir einen Bundespräsidenten haben.

Noch ist der Ausgang der Bundespräsidentenwahl offen. Aber viel Spannung verspricht die Abstimmung am kommenden Samstag nicht. Das bürgerliche Lager besitzt in der Bundesversammlung eine knappe Mehrheit. Deshalb ist Amtsinhaber Horst Köhler der klare Favorit. Die von der SPD nominierte Herausforderin Gesine Schwan hingegen hofft weiterhin auf Abweichler und vor allem Abweichlerinnen bei Union, FDP oder Freien Wählern. Sie hofft voraussichtlich vergeblich.

Die eigentliche Frage ist jedoch eine andere: Wozu braucht es eigentlich einen Bundespräsidenten? Es scheint doch völlig egal zu sein, ob Horst Köhler oder Gesine Schwan das Rennen macht.

Einerseits: Staatsoberhaupt klingt einfach gut. Es hört sich ein bisschen so an wie König, bloß ohne Krone, und ein Barockschloss mit dem schönen Namen Bellevue gibt es auch noch dazu. Der Bundespräsident darf in der Welt herumreisen, die Hände anderer Staatsoberhäupter schütteln und Leute treffen. Außerdem muss sich jeder neue Botschafter beim ihm vorstellen. Am Ende seiner Amtszeit weiß ein Bundespräsident, wo es schön ist auf Erden und wo nicht.

Andererseits hat der Bundespräsident faktisch keine politischen Kompetenzen. Weil die Deutschen in der Weimarer Republik schlechte Erfahrungen gemacht haben mit der Machtfülle eines direkt gewählten Reichspräsidenten, haben die Väter (und Mütter!) des Grundgesetzes ihm eine schwache und repräsentative Rolle zugewiesen. Nur wozu soll das gut sein? Sind nicht Fußballer, Schriftsteller und Showmaster längst die besseren Repräsentanten eines demokratischen, weltoffenen und vor allem geläuterten Deutschland?

Keine Jubelfeier für das Staatsoberhaupt

Selbst im Kanzleramt wird dies offenbar so gesehen. Dort hat man für die Geburtstagsfeier des Grundgesetzes am 23. Mai Udo Lindenberg und Udo Jürgens engagiert. Moderiert wird die Jubelparade von Thomas Gottschalk. Für den frisch gewählten Bundespräsident hingegen ist nur ein kurzer Höflichkeitsauftritt vorgesehen. Aus gutem Grund. Wegen Köhler oder Schwan würden vermutlich nicht Zehntausende an einem Samstagnachmittag zum Brandenburger Tor strömen. Aber wäre es da nicht konsequent, das Amt ganz abzuschaffen?

Wer würde den Bundespräsidenten vermissen? Die Ernennung von Kanzlern und Ministern ist erstens eine Formalie und zweitens ein obrigkeitsstaatliches Relikt. Im Parlament beschlossene Gesetze könnte auch ein Abteilungsleiter in der Bundestagsverwaltung unterschreiben. Oder ein Unterschriftenautomat.

Dass sich Horst Köhler wegen verfassungsrechtlicher Bedenken geweigert hat, das Flugsicherungs- und das Verbraucherschutzgesetz zu unterschreiben, grenzte ja fast schon an Amtsanmaßung. Schließlich ist dafür das Bundesverfassungsgericht zuständig. Auf der anderen Seite hat sich Köhler dort, wo er 2005 zumindest theoretisch einen verfassungsrechtlichen Entscheidungsspielraum gehabt hätte, der Macht des Faktischen gebeugt: Nach einer fingierten Vertrauensfrage löste er den Bundestag auf, weil die SPD und Kanzler Schröder vorzeitige Neuwahlen wollten.

Es blieb ihm auch keine andere Wahl. Eine starke Rolle hat das Grundgesetz für den Bundespräsidenten nicht vorgesehen. Auch der Versuch, mit starken Worten die fehlende exekutive Macht zu kompensieren, will den Bundespräsidenten nicht Recht gelingen. Niemand hat bislang beispielsweise den Ruck gesehen, den Roman Herzog 1997 bei der ersten "Berliner Rede" eingefordert hatte. Auch Köhlers Mahnung an die Manager aus dem März diesen Jahres, sie mögen sich mit einer "angemessenen Selbstbeteiligung" an der Wiedergutmachung des Schaden beteiligen, den sie angerichtet haben, verhallte ungehört.

Überschätzter Job

Das Amt des Bundespräsidenten ist der machtpolitisch am meisten überschätzte Führungsjob im Land. Dabei gibt es tatsächlich eine Ausnahmesituation, in der unser Staatsoberhaupt seine große Rolle spielen könnte. Nur hat es eine solche verfassungsrechtliche Situation in 60 Jahren Bundesrepublik noch nicht gegeben: Wenn ein Kandidat bei der Kanzlerwahl im dritten Wahlgang zwar die einfache aber nicht die absolute Mehrheit erhält, muss der Bundespräsident entscheiden, ob er den Kanzler ernennt, oder ob er stattdessen Neuwahlen ausruft.

Eine solche Konstellation ist in der Bundesrepublik mit ihrer Tradition fester Koalitionen anders als in Italien oder Schweden zwar denkbar unwahrscheinlich. Aber seit die Mehrheitsverhältnisse im Fünf-Parteien-Parlament unübersichtlicher geworden sind, lässt sich eine solche zumindest nicht mehr ausschließen.

Eine Minderheitsregierung gibt es laut Verfassung in Deutschland also nur mit formalem Segen des Präsidenten. Manche Konservative spekulieren schon darauf, auf diesen Wege verhindern zu können, dass irgendwann eine sozialdemokratisch geführte Minderheitsregierung mit Tolerierung der Kommunisten von der Linkspartei nach der Macht greift.

Die Hoffnung trügt, schließlich gilt hier dasselbe wie bei fingierten Vertrauensfragen. Kein Bundespräsident wird sich nach einer Bundestagswahl der Macht des Faktischen entgegenstellen.

Als Grüßaugust der parlamentarischen Demokratie bliebe dem Präsidenten auch hier nur die Wahl, ganz gelassen gute Miene zum bösen Machtspiel der Parteien zu machen. Aber vielleicht ist dies der Grund, warum die Deutschen ihre Bundespräsidenten so lieben, egal, ob sie Scheel, von Weizsäcker oder Rau heißen. Horst "machtlos" Köhler schadet ja niemandem und Gesine Schwan bliebe im Schloss Bellevue auch ohne Einfluss. Deshalb gibt es auch keinen Grund das Amt des Bundespräsidenten abzuschaffen. (Zeit Online)

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