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Meinung: Strahlendes Geheimnis

Atomare Ambivalenz: Warum Israel nicht offiziell zugibt, Nuklearwaffen zu besitzen

Mohammed al Baradei macht sich keine Illusionen. Der Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde hat gleich zu Beginn seiner Israelvisite erklärt, dass er zwar gerne sähe, wenn Israel den Atomwaffensperrvertrag unterstützen und das Zusatzabkommen unterzeichnen würde, das es zur Herausgabe von Informationen über Exporte im Nuklearbereich verpflichtet. Doch Druck wolle und könne er nicht ausüben.

Er wäre auch sinnlos. Denn der jüdische Staat hält an seiner „Politik der atomaren Ambivalenz“ fest: Offiziell werden keine Atomwaffen produziert, wohl aber der Eindruck, man besitze solche. Damit sollen feindliche Staaten abgeschreckt werden – an denen es nach wie vor nicht mangelt. Oder wie es der „Vater des Reaktors von Dimona“ Schimon Peres formulierte: Israel werde nicht der erste Staat im Nahen Osten sein, der Atomwaffen besitze, es könne sich aber auch nicht leisten, der zweite zu sein.

Der Nebel um den geheimnisvollen Reaktor bei der Wüstenstadt Dimona – in dem nach Meinung von Experten Atombomben hergestellt werden – hat sich einerseits bisher bewährt, die Abschreckung wirkt. Die atomare Ambivalenz stößt sogar auf Verständnis vieler Staaten, die sich ansonsten gegenüber anderen potenziellen Atommächten kompromisslos zeigen. Israel darf sein Atompotenzial verschleiern, darf Inspektionen in Dimona verweigern (lässt solche im kleineren Forschungsreaktor in Sorek jedoch zu), ohne dass es irgendwelche Sanktionen zu befürchten hat. Das wird sich auch in Zukunft so lange nicht ändern, wie die potenziellen Feinde der einzigen Demokratie im Nahen und Mittleren Osten keine Atomwaffen besitzen.

Baradei hat den Israelis sein ambitioniertes Konzept einer atomwaffenfreien Zone in der Region vorgelegt. Dieses würde Israels atomare Ambivalenz verewigen, wenn Jerusalem einen entsprechenden Vertrag unterzeichnen würde. Was es aber nicht will und nicht kann. Baradei kommt wohl ohnehin zu spät, um die nukleare Aufrüstung Irans noch zu verhindern, die seine Behörde und die USA, vor allem Israel, aber auch die arabischen Nachbarn Teherans und die gemäßigten Staaten der arabischen Welt tief beunruhigen. Denn anders als die ohne Zweifel vorhandenen Atomwaffen des demokratischen Staates Israel löst allein schon die potenzielle atomare Bewaffnung irgendeiner islamischen Diktatur wie der Ajatollah-Herrschaft tiefste Beunruhigung in der gesamten Region aus – keineswegs nur in Jerusalem.

Israels Atombomben dienen der Abschreckung, Jerusalem hat sie niemals für einen Erstschlag entwickelt. Die iranische, die „islamische Atombombe", aber könnte schon sehr bald zur tödlichen Bedrohung ganzer Völker werden, falls menschenverachtende Extremisten – ob iranische Machthaber oder islamistische Terroristen – über sie verfügen.

Selbst aber wenn es der internationalen Gemeinschaft gelingen sollte, Iran noch von seinem nuklearen Irrweg abzubringen, bleibt Israel atomar bedroht – wegen Dimona. Galt die letzte im Golfkrieg 1991 gegen Israel abgefeuerte irakische Scud-Rakete doch dem Atomreaktor am Wüstenrand. Sie trug allerdings keinen unkonventionellen Sprengkopf wie befürchtet, sondern nur einen Betonkopf.

Dass dieses Gefahrenpotenzial nach Ansicht der Regierung und der Militärs nach wie vor existiert beweist die Tatsache, dass in diesen Tagen erstmals an die Bevölkerung in der weiteren Umgebung von Dimona und Sorek Jodtabletten verteilt werden für den Fall der Fälle. In Krisenregionen wie dem Nahen Osten sind demnach Atomwaffen für deren Produzenten genauso gefährlich wie für dessen Feinde. Doch dass deshalb auf die atomare Aufrüstung verzichtet wird, kommt allem Anschein nach weder für Israel noch den Iran in Frage. Man zieht die Verschleierung (Jerusalem) beziehungsweise das Leugnen (Teheran) vor.

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