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Der Streit um Google Street View: deutsche Hysterie?

© dpa

Street View: Google kann man nicht abwählen

Der Streit um Street View zeigt: Im Netz bestimmen private Unternehmen die Regeln. Mit Hilfe des Kartellrechts müssen die Wahlmöglichkeiten der Verbraucher gestärkt werden.

Von Anna Sauerbrey

Ilse Aigner, die Verbraucherministerin, will, dass ihr Haus in einem schwarzen Loch verschwindet. Politiker aller Couleur kündigen inzwischen an, Widerspruch dagegen einzulegen, dass der Internetkonzern Google Bilder ihrer Wohnhäuser in seinem digitalen Nachbau der Welt abbildet. Werden ihre Wähler ihnen folgen? Bäumen die Bürger sich auf gegen die „Datenkrake“ Google? Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann jedenfalls will ihnen mehr Zeit verschaffen, den Widerstand zu organisieren. Er verlangte am Donnerstag eine längere Widerspruchsfrist bis Mitte Oktober.

Aus Sicht von Google ist die Debatte nur Ausdruck der Datenschutzhysterie der übersensiblen Deutschen mit ihren Nazi- und Stasitraumata, mit ihrer alteuropäischen Bedenkenschwere.

Doch es geht eben nicht nur um die Außenansicht von ein paar Häusern. Die Willkür, mit der Google Entscheidungen trifft, ohne sich von seinen Nutzer hereinreden zu lassen, verdeutlicht eine Tatsache, die noch nicht ausreichend in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gelangt ist: Das Netz ist in der Hand der Privatwirtschaft. Anders als Autobahnen, Schienen oder andere zentrale Infrastrukturen, die vom Gemeinwesen geschaffen wurden, ihm noch immer gehören oder zumindest staatlich stark reguliert werden, wird das Netz in großen Teilen von Unternehmen unterhalten. Den Zugang ermöglichen private Unternehmen. Und auch die Wegweiser, Suchmaschinen wie Google, die eine Orientierung erst möglich machen, sind Unternehmen. Daher gelten die Gesetze der Marktwirtschaft. Das kann Vorteile haben: Kaum denkbar, dass Behörden mit der kreativen Kraft von Google derart schnell derart gut funktionierende Suchalgorithmen entwickeln.

Doch die privatwirtschaftliche Organisation hat auch Nachteile. Viele Angebote sind nur scheinbar gratis. Auch der Internetriese Google lässt sich seine Dienste mit den Daten der Nutzer bezahlen. Die Suchmaschine verkauft diese Daten weiter: Wertvolle Schnittmuster für Werbung nach Maß.

Das ist zwar beunruhigend. Gravierender aber ist das grundsätzliche Dilemma, dass Entscheidungen darüber, wie das Netz sein soll und, eine Ebene darunter, was Konzerne mit den Spuren machen dürfen, die ihre Kunden beim Surfen hinterlassen, dem demokratischen Prozess entzogen sind. Bislang hat sich keine deutsche Regierung getraut eine allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen einzuführen, aus Angst vor Millionen erbosten Wählern. Der amerikanische Internetanbieter Verizon aber hat gemeinsam mit Google angekündigt, in Zukunft möglicherweise Vorfahrtstraßen für privilegierte Daten ins drahtlose Netz zu bauen. Und keiner kann sie dafür abwählen – gerade zu Google gibt es kaum eine gleichwertige Alternative im Netz.

Hier aber kann staatliche Regulierung ansetzen. Mit Hilfe des Kartellrechts müssen die Wahlmöglichkeiten der Verbraucher gestärkt werden. Auch eine internationale Initiative für Netzneutralität, also den Grundsatz, dass alle Daten gleich behandelt werden, ist denkbar. Die Forderung nach einer längeren Widerspruchsfrist gegen Street View klingt dagegen bescheiden. Zu bescheiden.

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