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Meinung: Suhrkamp und die alten Kämpen

Der prominente Aufsichtsrat ist zurückgetreten: Jetzt wird der Machtkampf im Verlag als Generationenproblem verbrämt

Warum schlägt die Krise des Suhrkamp Verlags in den Medien derartig Wellen? Sogar der „Bunten“ war Suhrkamp eine Story wert. Dabei geht es im Grunde um ein mittelständisches Unternehmen, das Bücher produziert, meist schwierige Bücher für wenige. Der vorläufige Höhepunkt der Krise: Der Stiftungsrat, de facto der Aufsichtsrat des Verlags, hochprominent besetzt mit den alten Suhrkamp-Kämpen und den Stars des bundesrepublikanischen Geistes Jürgen Habermas, Hans Magnus Enzensberger, Alexander Kluge, Adolf Muschg und Wolf Singer, tritt geschlossen zurück. Eine Sensation. Die alten Herren, bis auf Singer (60) alle um die 70, wollten die Politik der Verleger-Witwe Ulla Berkéwicz nicht mehr mit verantworten. Was Berkéwicz tags darauf artig „bedauert“.

Woche für Woche berichteten die Feuilletons der Nation die neuesten Ereignisse: Wie seit Oktober die Witwe des verstorbenen Verlegers Siegfried Unseld mit dem Ablauf des Trauerjahres Schritt für Schritt die Macht im Verlag übernahm. Wie sie schließlich den von ihr ungeliebten Verlagschef Günter Berg aus dem Unternehmen komplimentierte, obwohl dieser noch von ihrem Mann zum Nachfolger bestimmt wurde. Und obwohl Unseld selbst testamentarisch die Zukunft von Suhrkamp in Form einer Stiftung geregelt hatte.

Warum die Aufregung? Suhrkamp ist ein Mythos, ein Mythos der Bundesrepublik, ein deutscher Mythos. Wie kein anderer bundesdeutscher Verlag repräsentierte Suhrkamp in den 60ern und 70ern das linke und linksliberale Denken sowie die Literaturproduktion jener Generation, die unter Hitler Kinder oder Jugendliche waren und nach 1945 ihre geistigen Karrieren aufbauten. Hier arbeiteten Autoren zusammen, planten gemeinsam Reihen, empfahlen Texte, kurzum: Suhrkamp war mehr als ein Verlag, Suhrkamp war ein Netzwerk mit einer mächtigen Aura.

Die einflussreichsten Autoren von damals bildeten den nun zurückgetretenen Aufsichtsrat. Sie repräsentieren nicht nur die so genannte Suhrkamp-Kultur, sondern das kritische Bewusstsein der Bundesrepublik überhaupt. Wer jetzt, wie mancher Kommentator, den Rücktritt der alten Herren als längst fälligen Generationswechsel verbrämt und behauptet, jenes kritische Bewusstsein habe sich verschlissen und sei nur noch ein Relikt alter Zeiten, ist nicht nur unverschämt respektlos gegenüber der Lebensleistung von Habermas, Enzensberger & Co. Er unterliegt auch einem fatalen Zeitgeist-Reflex: Die Alten sollen den Jungen Platz machen. Als ob Jungsein per se ein intellektuelles Projekt sei. Und gerade diese Alten sind im Kopf jünger als viele der Jungen.

Und: Sie nehmen keinem etwas weg. Im Gegenteil, sie sollten im Aufsichtsrat ja gerade darüber wachen, dass das von ihnen Erreichte in der Institution ihres Verlages weiter wirken kann – und eben auch von den Jüngeren weitergedacht werden kann. Das geistige Erbe der alten Bundesrepublik wird von ihnen nicht verwaltet, es bleibt lebendig und wird zur Debatte gestellt: von Habermas, der jetzt ein für ihn neues Thema entdeckt hat, die Religionsphilosophie, und die Aufklärung neu überdenkt. Oder von Enzensberger, der wie kaum ein anderer Intellektueller seine früheren Positionen sondiert und revidiert und dem es Freude macht, junge Autoren für seine „Andere Bibliothek“ zu entdecken. Das sind keine rüstigen Rentner, sondern Menschen mit Erfahrung auf der Höhe ihrer produktiven Kraft.

Den lebendigen Geist entsorgt man nicht ins Altersheim. Das gilt für den Suhrkamp Verlag wie für das intellektuelle Klima unserer Republik. Nur, dass es für Suhrkamp bereits zu spät sein könnte.

Marius Meller

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