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Meinung: Tel Aviv liegt in Europa

Die EU muss ihre Nahostpolitik neu ausrichten – und Israel Sicherheitsgarantien bieten

Das Fenster der Möglichkeiten in Nahost ist erst einmal geschlossen. Man wird schon froh sein müssen, wenn das etwas niedrigere Gewaltniveau dieser Wochen noch ein paar Monate anhält. Die Stagnation hat viele Gründe: In Amerika hat der Wahlkampf begonnen, der die Kräfte der US-Regierung bindet und ihre Bereitschaft mindert, sich mit der Pro-Israel-Lobby christlicher und jüdischer Provenienz anzulegen. Aber auch in der Region selbst tut sich wenig. Ariel Scharon zeigt sich in Friedensdingen weiter als Meister der Verbalakrobatik, ohne dass seinen Worten auch Taten folgen. Und in der Autonomiebehörde scheint man jegliches politisch-strategische Denken eingestellt zu haben. Aus Arafats Hauptquartier kommen nur schlecht koordinierte Reaktionen auf Initiativen von Scharon. Vorschläge der palästinensischen Führung für einen Weg aus der Sackgasse gibt es nicht.

Umso wichtiger, dass man sich in Europa Gedanken über langfristige Perspektiven macht. Seit Beginn der Terror-Intifada vor dreieinhalb Jahren hat Europa nur situativ reagiert, um dann und wann Eskalationen zu verhindern. Die momentane Wartezeit, bis eine neue US-Regierung und vielleicht andere Politiker in Israel und Palästina neue Perspektiven eröffnen, sollte genutzt werden. Das heißt, ein paar europäische Grundannahmen über die Region in Frage zu stellen. Bisher war das Credo der europäischen Außenpolitik, Israel solle mit einem Frieden in die Region integriert werden. Man folgte der Vision Schimon Peres’ vom neuen Nahen Osten: Eine orientalische EU, nur mit besserem Wetter. Angesichts der bis zu krudestem Antisemitismus gesteigerten Israelfeindlichkeit in großen Teilen der arabischen Welt und dem Zusammenbruch jeglicher Vertrauensbasis in Israel für einen „echten“ Frieden ist die Vorstellung von einem regional integrierten Israel jedoch schlicht naiv.

Wer Frieden in Nahost will und einen Palästinenserstaat, der muss die israelischen Ängste ernst nehmen. Es sind ja nicht nur Hirngespinste von ein paar Rechten in Israel, dass viele Palästinenser einen eigenen Staat nur als „erste Phase“ ansehen im Kampf gegen die jüdische Präsenz im Heiligen Land. Solches ist von Führern von Arafats Fatah genauso zu hören wie von den islamistischen Terrororganisationen. Wenn es irgendwann einen Palästinenserstaat gibt, wäre Israel an manchen Stellen 20 bis 30 Kilometer breit. Die einzige Sicherheitsgarantie läge dann in der eigenen Stärke und der Allianz mit den USA – wie lange die hält, weiß niemand.

Es gibt kaum einen Staat auf der Welt, der wie Israel keinem Regionalbündnis angehört. Es ist auch Aufgabe Europas, das daraus entstandene Einsamkeitssyndrom zu lindern. Wenn die arabischen Gesellschaften für eine Partnerschaft mit Israel nicht reif sind, dann bleibt nur Europa als strategisches Hinterland für den kleinen Staat. Auf dem Kontinent hat man es sich angewöhnt, schmerzhafte Konzessionen von Israelis und Palästinensern zu fordern. In Zukunft wird die EU zeigen müssen, dass sie selbst zu solchen Konzessionen bereit ist. Die erste wäre, anzuerkennen, was Israel wirklich ist: Eine europäische Exklave, die es wegen des europäischen – nicht nur des deutschen – Antisemitismus „out of area“ verschlagen hat. Wer Frieden will, muss Israel Sicherheit bieten. Das heißt: Israel sollte eine weitgehende Integration in die EU und die Mitgliedschaft in der Nato in Aussicht gestellt werden – als Anreiz für einen Kompromiss mit den Palästinensern. Wer da sagt, „unmöglich“, weil dem Griechen und Franzosen nie zustimmen werden, sollte sich mit guten Ratschlägen für Nahost zurückhalten, wo es vor politischen „Unmöglichkeiten“ nur so wimmelt.

Die europäische Nahostpolitik beruhte bisher auf der „globalen Mittelmeerpolitik“, laut der Israel und die muslimischen Mittelmeeranrainer gleich behandelt werden sollten. Eine Lebenslüge. Israel ist ein Kind des europäischen Demokratieverständnisses, europäischer Kultur – und europäischer Judenverfolgungen. Diesem Erbe wird man nicht gerecht, wenn man die Palästinenser als „zweites Opfer“ des europäischen Antisemitismus genauso behandelt wie die Israelis. Im Gegenteil: Wenn Europa sich klar und unmissverständlich für den Fortbestand und die Sicherheit Israels engagiert und anbietet, den jüdischen Staat nach Europa einzugemeinden, werden die Palästinenser leichter zu ihrem eigenen Staat kommen.

Eines sollte inzwischen deutlich geworden sein: Der Oslo-Prozess vom Anfang der 90er Jahre ist nicht zu reparieren. Seine Grundlage bestand im Aufbau von Vertrauen. Das ist auf lange Zeit zerstört – jetzt müssen harte Sicherheitsgarantien her. Für Europa heißt das, den Frieden für Nahost neu zu denken.

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