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Meinung: Trialog: Lehren fürs Leben

Aus allen Jahresrückblicken ragt der 11. September wie ein riesiger Solitär heraus.

Aus allen Jahresrückblicken ragt der 11. September wie ein riesiger Solitär heraus. Gewiss ist der Satz, nach dem 11. September werde nichts mehr so sein wie zuvor, ebenso oft ausgesprochen wie falsch. Aber ein Einschnitt war er schon, eine Erfahrung der Verletzlichkeit moderner Zivilisation und von den Bedrohungspotenzialen gewalttätiger Verirrungen.

Die Einsicht in die Notwendigkeit von Politik, die Schutzfunktion des Staates und das Angewiesensein auf internationale Zusammenarbeit ist sprunghaft gewachsen. Freiheit und Sicherheit sind keine Gegensätze, sie bedingen sich gegenseitig. Drei Folgerungen sollten für das kommende Jahr bewahrt werden: Unsere Freiheitsordnung muss wachsam und wehrhaft bleiben. Nach dem 11. September war viel von "Schläfern" die Rede, was unterstreicht, dass der freiheitliche Rechtsstaat nicht zum Nachtwächterstaat verkommen darf. Und dass Demokraten für den Zustand ihres Gemeinwesens verantwortlich sind. Ohne demokratisches Engagement geht es nicht. In einer offenen Welt, in der Menschen unterschiedlicher Abstammung und Herkunft zusammenleben, heißt das auch Integration. Die ist wichtiger als jede gesetzlich gesteuerte Erhöhung von Zuwanderung. Integration erfordert den Willen, miteinander zu leben - das gilt für Alteingesessene wie neu Zugewanderte gleichermaßen. Frieden und Sicherheit sind im Zeitalter der Globalisierung nicht teilbar. Daraus folgt die Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit. Die USA haben Anspruch auf Solidarität, ihre Führungsrolle bleibt unverzichtbar. Aber als alleinige Führungsmacht in der Welt sind sie auf Dauer überfordert, eine stabile Welt-Friedensordnung muss sich multilaterale Führung gründen. Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Teilen der Welt dürfen nicht so unerträglich groß bleiben. Ansätze für weltweite Zusammenarbeit seit dem 11. September müssen vor allem zum Abbau dieser Unterschiede und Spannungen genutzt werden. Die Vereinten Nationen werden bedeutsamer und müssen gestärkt werden. Europäische Einigung wird wichtiger denn je.

Nach dem 11. September waren plötzlich die Nationalstaaten wieder die Hauptakteure. Von der NATO war wenig zu vernehmen, von der EU fast gar nichts. Dabei ist gerade jetzt mehr Zusammenarbeit und Integration gefragt. Nur gemeinsam können wir Europäer unsere Interessen wirkungsvoll wahrnehmen und unserer Verantwortung für den Zustand dieser Welt gerecht werden. Dem Konvent, den der Gipfel in Laeken beschlossen hat, muss es gelingen, eine Ordnung zu entwerfen, in der sich Vielfalt in Europa durch eine Bewahrung nationaler Eigenständigkeit mit Handlungsfähigkeit auf den Feldern von Sicherheit und Wirtschaft verbindet. In dieser Ordnung müssen europäische Entscheidungen durch demokratisch legitimierte europäische Institutionen getroffen werden, was eine klare Unterscheidung zwischen europäischen und nationalen Zuständigkeiten voraussetzt. Je überzeugender der Entwurf des Konvents, umso weniger werden sich nationale Regierungen einem solchen Konzept verweigern können.

Der 11. September hat die grundlegenden Werte von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten bedroht. Sollen sie verteidigt werden, müssen sie ernst genommen werden. Menschenwürde und Gerechtigkeit, Solidarität und Toleranz, im Grundsätzlichen und weltweit, aber auch ganz konkret zu Hause und im Alltag. Je besser das gelingt, umso mehr ist Hoffnung für das Jahr 2002.

Wolfgang Schäuble ist CDU-Präsidiumsmitg

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