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Meinung: Türklinken, Trinkwasser, Klimaanlagen Der Sars-Virus ist ansteckender als zunächst gedacht

Von Alexander S. Kekulé WAS WISSEN SCHAFFT Edmund Stoiber sagte wegen der Lungenkrankheit Sars seinen Besuch in Hongkong ab.

Von Alexander S. Kekulé

WAS WISSEN SCHAFFT

Edmund Stoiber sagte wegen der Lungenkrankheit Sars seinen Besuch in Hongkong ab. Bayerns Ministerpräsident, der sich derzeit in Peking aufhält, gehört dennoch zu den Mutigen: Die USGesundheitsbehörde CDC warnt vor Reisen in die betroffenen Länder. Internationale Firmen wie Intel, Hewlett-Packard und Motorola haben bereits Werke in Südostasien geschlossen. Die US-Vertretungen in Vietnam legten den Familien ihrer Mitarbeiter nahe, für einige Zeit Heimaturlaub zu machen. Und die Rolling Stones sagten gerade ihre gesamte China-Tournee ab.

Vorsicht ist angebracht. Die bisherige Annahme der Experten, der Erreger werde nur bei engstem Kontakt übertragen, ist seit dem Wochenende überholt. Die Rekonstruktion der Übertragungswege ergab, dass zunächst ein einziger Kranker – ein aus Südchina eingereister Arzt – im Hongkonger Hotel „Metropole“ innerhalb weniger Tage sieben Gäste ansteckte. Diese haben den Erreger dann in Singapur, Vietnam und Kanada verbreitet: Eine einzige Quelle infizierte innerhalb weniger Wochen mehr als 700 Menschen in vier Ländern – nur über engen Körperkontakt wäre das kaum möglich. Inzwischen wurden fast 1700 Sars-Fälle in 15 Ländern gemeldet, über 60 Menschen sind gestorben.

Noch beunruhigender sind die Vorgänge in den „Amoy Gardens“, einem Hongkonger Wohnkomplex aus zehn Hochhäusern. Innerhalb weniger Tage erkrankten hier 213 Einwohner, davon 107 in einem einzigen Hochhaus. Die Bewohner hatten kaum Kontakt miteinander, es gibt aber eine andere Verbindung: Die meisten Infizierten wohnen in übereinander liegenden Appartements. Die Fachleute der Weltgesundheitsorganisation vermuten deshalb, dass der Erreger auch indirekt übertragen werden kann, über Türklinken, verseuchtes Trinkwasser oder die Klimaanlage. Wenn sich das bewahrheiten sollte, stehen wir am Rande einer globalen Epidemie. Dass auch medizinisch hervorragend ausgestattete Staaten nicht geschützt sind, zeigt das Beispiel Kanada: Einer der Gäste, die sich im Hongkonger „Metropole“ infiziert hatten, schleppte Anfang März die Seuche ein. Obwohl die Behörden sofort reagierten, verbreitete sich die Infektion bereits in vier Übertragungsschritten weiter: Bisher wurden 129 Verdachtsfälle gemeldet, vier Menschen sind an Sars gestorben.

Es gibt jedoch auch gute Nachrichten. Die US-Seuchenbehörde CDC hat möglicherweise den Erreger identifiziert. Für das vermutete neue Virus aus der Gruppe der „Coronaviren“, die sonst gewöhnliche Erkältungen auslösen, ist ein erster Labortest in Erprobung. Wenn alles gut geht, können bald sichere Diagnosen gestellt werden – eine wichtige Voraussetzung für die Eindämmung der Seuche. Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass das Virusmittel „Ribavirin“ bei einem Teil der Erkrankten hilft. Schließlich tritt die gefürchtete Lungenentzündung ohnehin nur bei etwa 10 bis 20 Prozent der Infizierten auf, die Sterblichkeit liegt unter vier Prozent. Wenn es den Gesundheitsbehörden gelingt, dem Erreger die Ausbreitungswege aus Südostasien abzuschneiden, kann das Schlimmste noch verhindert werden.

Die Schwachstelle im Kampf gegen die Seuche ist jedoch China. Das Land, in dessen Südprovinz Guangdong das Virus wahrscheinlich von Haustieren auf den Menschen übergesprungen ist, behandelt Sars wie ein Staatsgeheimnis: Der erste Ausbruch wurde lange verschwiegen, die WHO und die Presse bekommen nur spärliche Informationen. Gerüchten zufolge hat das Virus längst Peking erreicht. Wenn das stimmt, wäre eine Epidemie in Asien kaum noch zu verhindern – Stoiber hätte wohl doch auf die Rolling Stones hören sollen.

Der Autor ist Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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