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Meinung: Über den eigenen Tod entscheiden

Diese Woche debattiert der Bundestag über Patientenverfügungen

Alexander S. Kekulé Zur Karwoche hat sich der Bundestag ein passendes Thema vorgenommen: Darf man vorab festlegen, wie und unter welchen Voraussetzungen man sterben will? Bis zur Sommerpause soll ein Gesetz für die „Patientenverfügungen“ vorliegen.

Wenn es nur eindeutige Patientenverfügungen, mitfühlende Angehörige und vernünftige Ärzte gäbe, wäre keine Neuregelung nötig. Doch die Entscheidung über quälendes Weiterleben oder würdigen Tod ist längst keine Privatsache mehr. Wenn eine lebenserhaltende Maßnahme beendet werden soll, denkt der umsichtige Doktor zuerst an den Staatsanwalt und erst danach an den Patienten. Dabei halten Umfragen zufolge die Mediziner vieles für strafbar, was völlig legal ist – beispielsweise das Abstellen der künstlichen Ernährung auf Wunsch des Patienten, selbst wenn dadurch der Tod eintritt. Hinzu kommt, dass die Götter in Weiß es oft als persönliche Niederlage empfinden, wenn ihnen ein Patient „wegstirbt“.

Deshalb befürchten die Deutschen zu Recht, die viel propagierten Patientenverfügungen würden im Ernstfall nicht immer beachtet. Das kann allerdings durchaus im Sinne der Patienten sein. Verängstigt durch Berichte aus den Medien, etwa von Wachkomapatienten, schreiben sie auch allerhand Unsinn auf: Dass sie „nicht an den Schläuchen hängen“, „nicht künstlich ernährt werden“ oder „nach vier Wochen Koma sterben“ wollen. Dann muss der Arzt auch die Möglichkeit haben, von der Patientenverfügung abzuweichen.

Eine gesetzliche Regelung ist deshalb – leider – dringend vonnöten. Dabei darf jedoch nicht weniger Selbstbestimmungsrecht herauskommen. Derzeit ist eine eindeutige, zeitnahe und zum konkreten Fall passende Willenserklärung rechtlich bindend. Hat der Patient kurz vor einer Operation festlegt, dass er nicht künstlich ernährt werden will, falls er während der OP ins Koma fällt, müssen die Ärzte ihn sterben lassen.

Zentrales Thema wird sein, ob die „Reichweite“ von Verfügungen begrenzt werden soll. Ein gerade vorgelegter Gruppenantrag sieht vor, dass die Maschinen nur abgeschaltet werden dürfen, wenn die Krankheit ohnehin „einen irreversibel tödlichen Verlauf“ genommen hat oder der Patient „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ für immer bewusstlos bleiben wird. Wann die – ziemlich praxisfernen – Definitionen erfüllt sind, müssten jedoch weiterhin Ärzte und Gerichte entscheiden. Ein Patient mit Hirntumor könnte sich beispielsweise nicht mehr dagegen wehren, dass er im Falle einer Bewusstlosigkeit unters Messer kommt und seine Persönlichkeit verliert. Damit wäre alles beim Alten, außer dass die Patienten weniger Rechte als heute hätten. Notwendig sind strenge Auflagen für Form und Inhalt der Patientenverfügungen sowie die Pflicht zur ärztlichen Beratung bei der Abfertigung. So könnten Gesunde klare Regelungen für den Fall plötzlicher Bewusstlosigkeit treffen, etwa bei Unfall oder Herzinfarkt. Chronisch Kranke würden zusätzlich auf den erwartbaren Krankheitsverlauf und die Therapiemöglichkeiten eingehen. Oft ändert sich die Einstellung durch Gewöhnung an die Krankheit oder durch neue therapeutische Optionen. Deshalb müssen die Verfügungen regelmäßig erneuert werden.

Das ethische Dilemma rührt daher, dass die Menschenrechte sowohl aus der Aufklärung als auch christlich begründet sind. Befürworter der „Reichweitenbegrenzung“ wollen den Lebensschutz über das Grundrecht auf Selbstbestimmung stellen. Das ist aus christlicher Sicht richtig, weil das Leben nur von Gott genommen werden darf. Aus Sicht der Aufklärung ist der Schutz des Lebens jedoch Folge der Einzigartigkeit des Menschen als vernunftbegabtes Wesen, deshalb geht das Recht auf Selbstbestimmung vor. Für einen weltlichen Staat, der auch Selbstmord nicht unter Strafe stellt, wäre die Reichweitenbegrenzung ein Rückschritt.

Christlich geprägte Volksvertreter mögen sich darauf besinnen, dass auch die Vermeidung von Leid gottgewollt ist. Schließlich erlitt Jesus das Leiden am Kreuze, um den Menschen Leid zu ersparen. Auch so gesehen passt das Thema gut zu Ostern.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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